Dorfzukunft 1974

Die Zukun­ft der Dör­fer, die sich ändern­den Struk­turen in den ländlichen Regio­nen und der demografis­che Wan­del wird nicht erst seit heute disku­tiert — so auch nicht in Binzwan­gen. Über­legun­gen des früheren Binzwanger Pfar­rers Eck­hardt Reichelt aus dem Jahr 1974 zur Zukun­ft und Zukun­fts­fähigkeit des Dor­fes zeigen, dass viele The­men von heute auch schon vor über 40 Jahren aktuell waren. Andere Aspek­te sind hinge­gen heute nicht mehr von Bedeu­tung. Trotz­dem über­rascht, wie viele ver­meintlich mod­er­nen Prob­leme und Forderun­gen von heute auch schon 1974 ange­führt wur­den.


Was kön­nen wir tun, um unsere Dör­fer zu erhal­ten?
Einige Gedanken des Ort­sp­far­rers Eck­hardt Reichelt aus dem Jahr 1974

A. Unsere Sit­u­a­tion ist gekennze­ich­net durch Unsicher­heit und Wan­del, der auf Ratio­nal­isierung aus ist: Molk­erei, Raif­feisen­banken, Gemein­dezusam­men­le­gun­gen, Kreis­re­form, Schulzusam­men­le­gun­gen oder auf Pfar­reiver­schmelzun­gen. Fol­gend sind: Abwan­derung der lei­t­en­den Angestell­ten und Beamten aus unseren Dör­fern. Alte, lang bewährte Ein­rich­tun­gen gel­ten plöt­zlich nicht mehr, sind nicht mehr zeit­gemäß.
Schlagzeilen: „21000 Bauern­höfe gaben 1972 auf“
„Weniger Bauern pro­duzieren mehr“
Auch unsere Dör­fer ändern sich.

B. Was kön­nen wir tun, um unsere Dör­fer zu erhal­ten?

1. Wir dür­fen nicht geban­nt auf die Ereignisse star­ren wie ein Kan­inchen auf die Schlange. Wir dür­fen nicht alles wil­len­los geschehen lassen und vor allem nicht den Kopf in den Sand steck­en. Wir müssen uns mit den Din­gen befassen und das Beste für unsere Sit­u­a­tion machen. Wir Men­schen sind ja nicht für die Gesellschaft und ihre Ein­rich­tun­gen da, son­dern diese haben für uns da zu sein. Sie gilt es darum möglichst weit in unseren Dienst zu stellen. Wie Jesus sagt: Die Men­schen sind nicht für den Sab­bat und seine Vorschriften da, son­dern der Sab­bat hat den Men­schen zu dienen.

2. Mit dem rasenden Wan­del aller Werte und Vorstel­lun­gen, dem Wan­del der alten Ein­rich­tun­gen und Funk­tio­nen, müssten wir als Chris­ten noch am leicht­esten fer­tig wer­den. Zeigt uns dieser Wan­del doch, dass alles, was von Men­schen für Men­schen gemacht ist, der Zeit unter­wor­fen ist und damit auch der Vergänglichkeit. Noch nie ist es uns so deut­lich gesagt wor­den, dass auch bei uns alles nicht für die Ewigkeit gilt – auch wenn es noch so alt und bewährt ist, dass unser Leben wirk­lich ein Wan­dern ist – kein Treten auf dem Fleck, son­dern in Wan­dern von hier Gottes Reich hin. Das gefällt uns nicht immer. Oft wür­den wir gerne bleiben, aber „der Wagen der rollt“, wie es in dem einen Volk­slied heißt. In diesem Sinne sind die fol­gen­den Bemühun­gen zu sehen.

I. Die Sit­u­a­tion:

1. Früher alles unter einem Dach:
a) gemein­same Wohn­stelle
b) gemein­samer Arbeit­splatz im Haus und Hof
c) gemein­samer Aus­bil­dung­sort im Haus, Hof, Schule und Kirche
d) gemein­same soziale Absicherung durch Besitz und Eigen­tum. Der Herr sorgte für den Knecht.
e) gemein­same Sozialkon­trolle: jed­er wußte alles über jeden, kein­er kon­nte aus sein­er Rolle aus­brechen, ohne zu vere­in­samen
f) gemein­same Infor­ma­tion bei Arbeit, auf dem Weg, beim Vor­sitz, im Gasthaus, beim Tanz im Ort.

2. In den let­zten 50 Jahren trat ein radikaler Wan­del ein:
1. Durch die zwei Weltkriege:
a) die vom Kriegs­di­enst heimgekehrten Män­ner hat­ten andere Ver­hält­nisse ken­nen­gel­ernt und zweifel­ten nun die alten Wertvorstel­lun­gen an.
b) Evakuierte und Heimatver­triebene, zum Teil Städter, brin­gen neue Gedanken und Vorstel­lun­gen mit, bilden manch­mal eine neue Klasse im Dorf und zeigen, wie frag­würdig eine Gliederung im Dorfe ist, die auf ererbten Besitz und über­lieferte Vor­rechte beruht.
2. Durch die rasende Indus­tri­al­isierung haben auf ein­mal bish­er arme Arbeit­er ein gle­ich­ho­hes Einkom­men wie die Land­wirte, ja Land­wirte müssen sel­ber in die Arbeit gehen.

3. Fol­gen des Wan­dels:
a) Die Ein­wohn­erzahl nimmt ab trotz Geburtenüber­schuß! Die Kinder bleiben nicht im Dorf.
b) Die Arbeit­splätze viel­er liegen auswärts! Das zeigen die Lohn­s­teuerzahler-Zahlen. Möglich durch Auto und Indus­trie.
c) Die soziale Sicherung geschieht durch Ver­sicherungs­beiträge, was zur Folge hat, daß alle Fam­i­lien­mit­glieder vom Hof und Besitz unab­hängig wer­den.
d) Drang zur Anonymität: beim Einkauf oder Vergnü­gen.
e) Die gemein­same Ver­ständi­gung geht ver­loren, alle sehen fern. Gemein­same Inter­essen wer­den weniger, Vere­insleben oft müh­sam (Schichtar­beit), Kirchenbe­such wird schwäch­er, gemein­same Andacht­en sel­tener, weil sel­ten alle zusam­men sind.

II. Mögliche Fol­gerun­gen aus der Sit­u­a­tion

Aus den Fol­gen müssen Fol­gerun­gen gezo­gen wer­den, damit das Dorf nicht aus­stirbt, damit es nicht zum Weil­er wird, vor allem aber damit die Gemein­schaft mit all ihren guten Seit­en nicht völ­lig zer­stört wird. Daher einige Gedanken:

1. Woh­nung­sprob­lem
Wenn möglichst wenige vom Dorf abwan­dern sollen, müssen sie hier wohnen kön­nen. Es bietet sich dafür an:
a) das Wohn­haus auszubauen oder aufzu­s­tock­en,
b) einen unbe­nutzten Stall umzubauen,
c) Bau­plätze anzu­bi­eten.
Regel: Jung und Alt müssen völ­lig getren­nt leben kön­nen, wenn sie es wollen (auch Wohnz­im­mer, Küche, eventuell Hau­sein­gang). Das gilt auch bei bish­erigem Dauer­son­nen­schein.
Echte Erfol­gschan­cen beste­hen: Weil das Dorf die Heimat der Kinder ist – sie darf nur nicht ver­grault wer­den; weil Bau­plätze in der Stadt uner­schwinglich sind; weil die Mieten so hoch sind, daß oft ein län­ger­er Arbeitsweg vom Dorf in die Stadt in Kauf genom­men wird, da die Mieteinsparung von monatlich 200–400 Mark den Ver­lust aus­gle­icht, der durch gerin­geren Ver­di­enst in ein­er Landge­gend und durch län­gere Anfahrtzeit entste­ht; Die Ansied­lung Fremder im Dorf kann eine noch beste­hende Gemein­schaft zer­stören, aber auch gute Anre­gun­gen brin­gen.

2. Dor­fgestal­tung
Jedes Dorf muß seine eigene Atmo­sphäre behal­ten, nur dann fühlt man sich wohl und bleibt. Jed­er modis­che Abklatsch wird bald lang­weilig.
a) Dorf: Kanal­i­sa­tion und Teer­straßen sind sind selb­stver­ständlich. Grün­flächen sollen keine neuen Götzen wer­den, aber sie sind zu pfle­gen und zu scho­nen. Blu­men und Sträuch­er sind nicht nur vor Hüh­n­ern, son­dern auch vor Hun­den zu bewahren.
b) Häuser: Das Fach­w­erk sollte erhal­ten bleiben, es ist ger­ade bei uns für die Dor­fat­mo­sphäre wichtig. Das Fach­w­erk paßt in unsere Dör­fer, weil es von hier ist; es sieht – im Gegen­satz zu anderen alten Häusern – noch gut aus, wenn es sehr alt ist; Isolierung ist durch mod­er­nen Putz möglich. Fen­ster: Wenn sie erneuert wer­den, soll­ten sie nicht ohne Sprossen sein. Omas mit Miniröck­en sehen komisch aus und wer­den davon nicht jünger. Zwei Dinge sind bei jed­er Ren­ovierung wichtig: Kom­fort wie in der Stadt. Atmo­sphäre wie im alten Dorf.

3. Altertümer
In jedem Bauern­haus gibt es „Altertürmer“. Sie gehören dor­thin, wofür sie geschaf­fen sind: ins Bauern­haus. Nir­gends passen sie annäh­ernd so gut hin. Früher waren es Gebrauchs­ge­gen­stände, heute kön­nen sie als Schmuck dienen. Man sollte sie darum her­richt­en lassen und wenn möglich wieder benützen oder als Schmuck­stücke auf­stellen. Da sie sozusagen aus dem Haus her­aus­gewach­sen sind, geben sie dem Bauern­haus die richtige Atmo­sphäre.
Händler: Es ist immer daran zu denken, daß sie einem nichts schenken. Manche bieten für ein wert­los­es Stück auf­fal­l­end viel und nehmen als sog. „Beiga­be“ die wirk­lich wertvollen Dinge für ein paar Pfen­nige mit. Beispiel: Bei Kurz wur­den für einen Schrank DM 600 geboten, er sollte bes­timmt am näch­sten Tag abge­holt wer­den. Dazu nah­men sie für bil­liges Geld sog. „Kleinigkeit­en“ mit – der Schrank ist immer noch zu haben.

4. Verkehrsan­schluß
Da Schulen, Arbeit­splätze und Einkauf­stellen in die Städte ver­legt wer­den, sind gute Verkehrsan­bindun­gen sehr wichtig. Poli­tis­ches Ziel: Buslin­ien müssen so einge­führt wer­den, daß Ämter, Ärzte, Kranken­häuser, Arbeit­splätze, Einkauf­stellen und Schulen ohne unzu­mut­baren Zeitver­lust erre­icht wer­den kön­nen.
Es müssen hier Men­schen leben kön­nen, die kein Auto haben und nicht auf fremde Hil­fe angewiesen sein müssen. Das Gefühl der Unab­hängigkeit und Frei­heit muß sein. Es ist beson­ders wichtig für die Jugend, wenn sie sich nicht einges­per­rt und den Stadtkindern gegenüber benachteiligt fühlen soll – son­st läuft sie später weg. Für die Alten: sie bleiben oder kom­men wieder, wenn sie spüren, daß sie sich auch hier sel­ber ver­sor­gen kön­nen. (Schul­busse)

5. Nach­barschaft
Für ein gutes Dorf ist gute Nach­barschaft die all­ge­me­in­ste, aber auch wichtig­ste und entschei­dend­ste Voraus­set­zung. Die Nach­barschaftsver­hält­nisse haben sich mit der Zeit verän­dert. Wenn ein Dorf am Leben bleiben soll, muß die Nach­barschaft in Ord­nung sein, aber auch zeit­gemäß.
Ein ungeschriebenes Gesetz heißt: Leis­tung gegen Leis­tung. Das heißt je eine Rei­he von Haushal­tun­gen sind eine Rei­he von Verpflich­tun­gen einge­gan­gen. Ver­nach­läs­si­gung nach­barschaftlich­er Pflicht­en zogen schwere soziale Sank­tion­ierun­gen nach sich: bis zur offiziellen Aufkündi­gung der Nach­barschaft, d.h. Deklassierung und Isolierung. Je weit­er wir zeitlich zurück­ge­hen, desto stärk­er find­en wir die Verpflich­tun­gen. Dort wo sie heute nicht mehr beste­ht, wurde sie nicht beseit­igt, son­dern von Insti­tu­tio­nen über­nom­men, die auch eine Gegen­leis­tung wollen: Geld.

Die nach­barschaftlichen Funk­tio­nen früher und heute:
1. umfassende Hil­fe bei Katas­tro­phen (Feuer, Krankheit, Todes­fall), Heute: Ver­sicherun­gen, Dorf-Betrieb­shelfer, Nach­barschaft­shil­fe nur als Zusatz.
2. Aushil­fe bei Arbeit­san­häu­fung: Dorf-Betrieb­shelfer, Nach­barschaft­shil­fe nur als Zusatz.
3. Aushil­fe beim Haus­bau: immer mehr gehen in die Arbeit
4. Ein­sprin­gen bei All­t­agsver­legen­heit­en
5. Auslei­he von sel­ten gebraucht­en Geräten: zusät­zlich Maschi­nen­ring
6. Anteil an Freud- und Lei­dereignis­sen.
7. Aus­tausch von Infor­ma­tio­nen: Radio, Fernse­hen, Zeitung, Isolierung durch große Felder und laute Maschi­nen
8. Soziale Kon­trolle und soziale Aus­rich­tung durch Ori­en­tierung an über­liefer­ten Ver­hal­tensweisen: zaghafte Abson­derung bei der Jugend und „Arbeit­ern“.
9. Nach­barschaft als Basis für regelmäßi­gen gesel­li­gen Aus­tausch (Vor­sitz, Tanz): durch Autos über­all, sel­ten zu Hause.

Gründe für die Verän­derun­gen:
1. Wegen der enor­men Kosten muß vieles von Ver­sicherun­gen über­nom­men wer­den.
2. Wegen Per­sonal­man­gel weniger Zeit für Aus­tausch (Neben­er­werb)
3. Durch tech­nis­che Hil­fen wird man von Nach­barn unab­hängiger, z.B. Strom, daraus fol­gt: Weg­fall des „Vor­sitzes“ um Licht zu sparen.
4. Da man mehr Geld hat, kann man sich vieles kaufen, was früher mit dem Nach­barn geschaf­fen wer­den mußte.
5. Durch die Mark­twirtschaft hat man den Wert der Zeit und des Geldes (Löhne) schätzen gel­ernt.

6. Arbeit auf dem Hof
Eine Mod­ernisierung des Hofes wird oft nötig:
a) wegen man­gel­nder Arbeit­skräfte
b) wenn die Eltern nicht mehr voll mitar­beit­en kön­nen
c) wenn der Mann ein­er anderen Arbeit nachge­ht und der Hof allein für die Frau bleibt (bis auf die Mond­scheinar­beit des Mannes).
Beurteilen muß das jed­er bei sich selb­st. Aber wenn die Kinder sehen, wie sich die Mut­ter – oder die Eltern – kaputt schin­den, dann bleiben sie bes­timmt nicht, wenn sie bei anderen Berufen sehen, daß es leichter auch geht. Daraus fol­gt: Vere­in­fachung der Arbeit, damit die Kinder Freude daran haben.
Arbeit der Frau: Hausar­beit ist Arbeit! Daraus fol­gt: Erle­ichterun­gen und Maschi­nen im Hause so notwendig wie auf dem Felde! Vor allem wenn die Frau auch draußen mitar­beit­en muß. Kinder­erziehung, Schu­lauf­gabenüberwachung ist schwere Arbeit, die ver­heerende Fol­gen haben kann, wenn sie ver­nach­läs­sigt wird.

7. Erhol­ung
Die Arbeit auf dem Lande ist auf Erfolg und Leis­tung aus wie in der Stadt. Daraus fol­gt: Es ist eine geregelte Erhol­ung nötig wie in der Stadt. Ab und zu aus­ruhen ist bei heutigem Leis­tungs­druck keine Erhol­ung, sie begin­nt erst nach 14 Tagen! (Müt­ter­di­enst!)
Wenn die Jugend den Hof übernehmen soll, wenn die Nichter­ben im Dorf bleiben sollen, damit es am Leben bleiben soll, muß das Dorf eine geregelte Erhol­ung akzep­tieren wie die Stadt, ja, es muß Erhol­ung fördern, damit man nicht in die Anonymität der Stadt flüchtet. (Neg­a­tivbeispiel meine Erkrankung in Hürn­heim). Neues Feld der Nach­barschaft­shil­fe: Nicht nur nicht schnell nach­se­hen, son­dern helfen, bessern und behüten.

8. Beruf­saus­bil­dung
Eine abgeschlossene Beruf­saus­bil­dung ist heute nötig:
a) wegen all­ge­mein­er Spezial­isierung
b) wegen eines gesun­den Stolzes: nicht unbe­d­ingt Hil­f­sar­beit­er wer­den, mit dem man machen kann, was man will.
c) wegen ein­er gesicherten Exis­tenz: Fachkräfte sind gefragt, bess­er bezahlt, tun sich beim Beruf­swech­sel leichter.

Handw­erk­liche Berufe liegen nahe, da Anwend­barkeit auf dem Hof und im Dorf möglich, Wohn­möglichkeit­en im Dorf.
Fab­rik­fachkräfte: wenn Arbeit­splätze in zumut­bar­er Nähe sind.
Büroberufe (Bank, Post): Woh­nung im Dorf, Hofüber­nahme nicht nötig.
Sozial­berufe: gut zur Unter­stützung der Dor­fge­mein­schaft, Ver­trauen, daß erste Hil­fe auch hier nahe ist (Dorfhelferin, Betrieb­shelfer, Krankenpfleger, — schwest­er, -pflegerin, Ver­wal­tung in Kranken­häusern; Schichtar­beit möglich).
Land­ver­bun­dene Berufe: Erhal­tung des Hofes durch Neben­er­werb. Möglich durch Eltern, Monokul­tur, da „. Bein“ im Beruf außer­halb des Betriebes.
a) Land­wirtschafts­ge­hil­fe, Betrieb­shelfer, Dorfhelferin
b) Land­wirtschaftsmeis­ter, Saatzucht­meis­ter, Molk­ereimeis­ter, Bren­n­meis­ter, Tierzucht­fach­mann.
c) staatlich geprüfter Land­wirt, Tech­niker für Land­bau, mit­tlere Tierzucht­di­enst.
d) Inge­nieur für Land­bau, gehoben­er land­wirtschaftlich-tech­nis­ch­er Dienst
e) Lehramt an land­wirtschaftlichen Beruf­ss­chulen
f) Diplom­land­wirt und höher­er land­wirtschaftl­ci­her Dienst
An diese vie­len Möglichkeit­en müßten ger­aden Sie denken, wenn Sie etwas für das Land tun wollen.

9. Die Jugend
„Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukun­ft.“ Da es heute nicht mehr selb­stver­ständlich ist, daß die Jugend bleibt, müssen wir uns bewußt und gezielt bemühen, sie dem Dorfe durch viele Anreize zu erhal­ten, bzw. lock­en, daß sie möglichst bald zurück­kom­men.
a) Dazu dien­ten die Aus­führun­gen über Aus­bil­dung, Arbeit­splatz, Woh­nun­gen, Verkehrsan­schluß, Erhol­ung und Dor­fgestal­tung.
b) Die Jugend lernt durchs Fernse­hen, aber vor allem durch die Berufs- und Fach­schulen die Vorzüge und Reize der Stadt mit ihren Arbeits- und Lebens­be­din­gun­gen ken­nen. Da sich die Zeit­en durch die neuen Arbeits- und Ver­di­en­st­möglichkeit­en völ­lig gewan­delt haben, meine ich müssen wir uns bemühen, die Jugend durch gle­ich­w­er­tige, dem Land entsprechende Ange­bote bei uns zu behal­ten:

Wenn sie auf dem Hof ganz oder teil­weise mitar­beit­en soll:
aa) eine geregelte aus­re­ichende Bezahlung; kein Taschen­geld, das ist für Kinder; keine gemein­same große Kasse mit den Eltern, bei der man bei jedem Hosenkauf fra­gen muß.
bb) eine aus­re­ichende Sozialver­sicherung.
cc) eine geregelte Freizeit und Feier­abend; sie set­zen genaue Arbeit­sein­teilung voraus (Blick auf Arbeit­er im Dorf)
dd) ein geregel­ter Urlaub; er muß möglich sein, ohne daß die Eltern reden als erlaubten sie etwas Beson­deres.
ee) Möglichkeit­en gesellschaftlich­er und kul­tureller Unter­hal­tung (Tanz, Kino, The­ater); für Trans­port ist zu sor­gen, damit nichts passiert.

Wenn sie hier nur wohnt:
Die Möglichkeit lassen, ihren eige­nen Vorstel­lun­gen zu fol­gen (Frei­heit).
Natür­lich muß alles den ländlichen Gegeben­heit­en angepaßt sein. Wenn wir nicht dazu bere­it sind, wird die Jugend nicht bleiben („Wir haben das früher auch nicht gehabt, wir müßten mit viel weniger zufrieden sein“ …). Die Jugend inter­essiert nicht, was früher war, son­dern sie ver­gle­icht mit den Möglichkeit­en, die sie heute in der Stadt hat. Schließlich: Ohne Zugeständ­nisse wird es auch hier ein­mal schw­er für junge Bauern wer­den, eine Frau zu find­en.

10. Die Gemein­schaft
Jedes Dorf muß sich um eine gute Gemein­schaft bemühen. Es darf bei so weni­gen Ein­wohn­ern nie­mand vere­in­samen, son­st kann man auch in die Stadt gehen. Es bieten sich dazu an: die kirch­lichen Ver­anstal­tun­gen, Hauskreise, Vere­ine, Früh­schop­pen, u.a. Dabei muiß jedem echte Frei­heit gelassen wer­den, damit er nicht in die Ein­samkeit der Stadt fliehen will.

C. Das alles sind bekan­nte Über­legun­gen. Sie haben den Sinn:
a) Wir sollen uns rechtzeit­ig über unsere Möglichkeit­en Gedanken machen, damit wir uns später nichts vorzuw­er­fen haben.
b) Wir müssen auch bere­it sein, die Kon­se­quen­zen zu ziehen, wenn wir das eine oder andere für notwendig erkan­nt haben, son­st wer­den wir schuldig.
Der Grund für diese Über­legun­gen liegt auch in den Geboten, wo es in den Ausle­gun­gen etwa heißt:
„Wir sollen Gott fürcht­en und lieben, daß wir unserem Näch­sten sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten und fördern in allen Leibesnöten.“

Eck­hard Reichelt