Reformation

Ein beson­ders inter­es­san­ter Abschnitt der Binzwanger Dor­fgeschichte ist die Ref­or­ma­tion. Anders als in anderen Regio­nen war die Sit­u­a­tion ger­ade in Binzwan­gen außeror­dentlich kom­pliziert und die dama­li­gen Geschehnisse noch in den 1960er Jahren so undurch­sichtig, dass zur Beurteilung der staatlichen Baupflicht an der Kirche eigens eine Archivs­tudie im lan­deskirchen Archiv in Nürn­berg in Auf­trag gegeben wurde, auf der die fol­gende Zusam­men­fas­sung haupt­säch­lich basiert.


Anders als heute üblich, kon­nten die Befug­nisse über einen Ort wie Binzwan­gen im Mit­te­lal­ter in den Hän­den ver­schieden­er Her­ren liegen. Die Grund­herrschaft über Binzwan­gen besaß bere­its im 10. Jahrhun­dert das Bis­tum Eich­stätt, genauer gesagt das Kol­le­giatss­tift Her­rieden. Zur Ver­wal­tung dieser Herrschaft existierte in Binzwan­gen eines von mehreren Stift­sämtern mit einem Amt­mann. Dies ist auch der Grund, weswe­gen mehrere frühere und noch beste­hende Gebäude in Binzwan­gen der eich­stät­tis­chen Herrschaft zugeschrieben wer­den. (Am Tor­bo­gen des heuti­gen Gasthaus Birkn­er befand sich bis vor weni­gen Jahrzehn­ten noch ein Wap­pen des Eich­stät­ter Bischofs Gabriel von Eyb, der von 1496 bis 1535 lebte.) Das Stift in Her­rieden besaß neben der Grund­herrschaft auch die niedere Gerichts­barkeit, d.h. es zog Steuern ein und war für die Ahn­dung von All­t­ags­de­lik­ten ver­ant­wortlich. Die Patronat­srechte, also das Recht und die Pflicht, kirch­liche Gebäude wie Kirche, Schule und Pfar­rhaus zu unter­hal­ten sowie eine Pfar­rei mit einem Geistlichen zu verse­hen, lagen ursprünglich auch bei Her­rieden. Um 1300 wurde dieses Recht jedoch vom Nürn­berg­er Burggrafen Kon­rad I. an das Stift in Spalt gegeben. Dieses gehörte jedoch auch zum (katholis­chen) Bis­tum Eich­stätt.

Durch die Gebi­et­ser­wer­bun­gen der Nürn­berg­er Burggrafen bzw. der Mark­grafen von Ans­bach ab dem 13. Jahrhun­dert existierte jedoch noch eine zweite Herrschaftsin­stanz. So emp­fand sich der Mark­graf in Ans­bach als Lan­desh­err (im Gegen­satz zum Grund­herr Eich­stätt) und ver­sah die obere Gerichts­barkeit, war also für schwere Straftat­en zuständig. Da diese mit Ver­stüm­melung oder Tod bestraft wer­den kon­nten, spricht man auch von Blut­gerichts­barkeit. Außer­dem bezahlten die Binzwanger seit 1415 jährlich für den Schutz des Mark­grafen, um im Kriegs­fall in seine Burg Colm­berg fliehen zu kön­nen. Schon sehr früh (1528) schloss sich der Mark­graf Georg der Fromme (1484–1543) den Lehren Mar­tin Luthers und somit der Ref­or­ma­tion an. Das Mark­grafen­tum Ans­bach war damit eines der früh­esten evan­ge­lis­chen Fürsten­tümer im Reich und besaß ab 1533 eine eigene evan­ge­lis­che Kirchenord­nung.

In Binzwan­gen war zu dieser Zeit Johann Grießbach als Priester tätig. Obwohl er bei ein­er mark­gräflichen Kirchen­vis­ti­a­tion eine schlechte Beno­tung erhielt, fol­gte er zu einem gewis­sen Zeit­punkt bere­its der mark­gräflichen, d.h. evan­ge­lis­chen, Kirchenord­nung, weswe­gen ihm vom eich­stät­tis­chen Amt­mann Christoph Hundt das Fen­ster eingeschla­gen wurde. 1540 starb Grießbach und die erste Neube­set­zung seit der Ref­or­ma­tion stand an. Es kam zum Stre­it zwis­chen dem evan­ge­lis­chen Mark­grafen in Ans­bach und dem katholis­chen Bischof in Eich­stätt. Natür­lich kam Eich­stätt der Forderung, einen evan­ge­lis­chen Geistlichen zu schick­en, nicht nach. Doch obwohl von Eich­stätt mehrere katholis­che Priester nach Binzwan­gen geschickt wur­den, kon­nten sie sich dort nie lange hal­ten und wur­den ver­mut­lich von mark­gräflichen Beamten ver­trieben. Während dieser Zeit besucht­en die Binzwanger Gemein­demit­glieder reg­uläre und Abendmahls­gottes­di­en­ste in Kirchen der Umge­bung. Der erste evan­ge­lis­che Pfar­rer, Leon­hard Bau­den­burg­er, wurde 1543 vom Mark­grafen nach Binzwan­gen geschickt, woraufhin sich Eich­stätt prompt beschw­erte. Es ist unklar, ob Bau­den­burg­er schließlich von der Bevölkerung ver­jagt oder frei­willig vom Mark­grafen wieder abge­zo­gen wurde. In jedem Fall hielt auch er sich nur wenige Jahre. Der Mark­graf in Ans­bach duldete schließlich zwei weit­ere von Eich­statt entsandte katholis­ch­er Priester, Wolf­gang Forch und Johann Weiß, ver­mut­lich um den Stre­it mit Eich­stätt nicht weit­er zu eskalieren. Als 1600 bekan­nt wurde, dass Weiß die Pfar­rei ver­lassen wolle, sollte sich das jedoch ändern.

Die Binzwanger Gemeinde bat, so zumin­d­est eine Quelle, beim Bekan­ntwer­den von Weiß’ Abschied in Ans­bach um einen evan­ge­lis­chen Pfar­rer. Obwohl das dor­tige Kon­sis­to­ri­um skep­tisch war und die Gefahren betonte, willigte der Mark­graf schließlich ein. Die geheimge­hal­te­nen Pläne führten schließlich am 8. Feb­ru­ar 1601 zur Ein­set­zung des evan­ge­lis­chen Pfar­rers Johann Her­mann unter dem Schutz von 20 Schützen und zur dauer­haften Ein­führung der Ref­or­ma­tion auch in Binzwan­gen. Daran änderte auch das eich­stät­tis­che Ver­bot, am Gottes­di­enst teilzunehmen und mit dem evan­ge­lis­chen Pfar­rer zu sprechen, nichts. Her­mann beschreibt seine Ein­set­zung so:

»Anno 1601. den 8. Febr. bin ich M. Johannes Herman von Onolzbach, auf Befehl deß Gurchlauchtigsten Hochgebornen Fürsten und Herren, Herrn Georgen Friederichen Marggrafen zu Brandenburg, in Preussen p. Herzog, meines gnedigsten Fürsten und Herren M. Conrado Leio Dechant zu Lehrberg, der Gemein und Kirchen zu Binzwang und Oberhegenau zu einem Pfarrherr und Kirchendiener fürgestellt und eingesetzt worden; jn Beisein des Ehrenwerten und Hochachtbaren Herrn Christoph Walzen Verwalter zu Sulz, Gabriel Müllern Castnern, und Johann Mögele Vogt zu Colmberg, wie den auch Hanß Schreinern Vogt zu Leutershausen, neben 20 Inwohnern und Schützen von Colmberg. Der allmächtige Gott wolle seinen Segen und Gedeien, daß solches angefangene Werk einen Fortgang und Bestand haben möge, gnädiglich verleihen und mittheilen. Amen.«

Von den genauen Abläufen gibt ein Bericht an den Mark­grafen in Ans­bach Auskun­ft:

»Gnediger Fürst und Herr,
Auf Ew. Fürstl. Durchlaucht an uns abgegangenen Befehl die Pfarr Binzwang belangend haben wir uns gestern Samstags abend allhie zu Colmberg zusammengefunden, und gewiße Kundschaft gehabt, daß die Pfarrkinder in Binzwang albereit die Zehrung zusammen geschossen und den Fuhren bestellt, den neuen Meßpriester zu Eschenbach morgen Montags abzuholen, also sind wir heut Sontags zu rechter Zeit unter der Predigt gen Binzwangen gekommen, den Pfarrherr daselbsten die angefangene Predigt verrichten lassen, nach derselben uns alsobalden in die Kirche verfügt, den neuen von Ew. Fürstl. Durchlaucht uns mitgegebenen Pfarrherr Herrn M. Johann Herman dem Volk praesentirt und fürgestellt, die Schlüssel zu der Kirche, so in den Thüren gesteckt, dem neuen Pfarrherr überantwortet, den Kirchenornat verzeichnen, die Pfarregister zu uns genommen, unterdessen auch das Pfarrhauß eingenommen, dawider sich dan niemand im Dorf widersezlich befunden. Inmassen auch der alte Pfarrherr oder Meßpriester sich gutwillig hat abweisen lassen, und alleine begehrt, seine Sachen 1. Tag oder 3. im Pfarrhauß zu lassen, biß er solches räumen könne (…). Haben auch dem neuen Pfarrherr 6. Personen zugeordnet, die bey ihm 1. Tag oder zween bleiben sollen, und darnach, wenn man nichts ferner vornimmt, 4. bey ihm behalten, bis uf Ew. Fürstl. Durchlaucht fernern gnädigsten Befehl — auch mit ihnen verlassen, wo man das geringste vernehmen sollte, daß sich die Eystettl. was unterstehen sollten, bey Tag und Nacht anhero zu berichten. Nach verrichteter actio haben wir uns alsobalden wieder aus dem Dorf Binzwang nach Colmberg begeben. (…)
Datum den 8. Febr. anno 1601.
Dechant zu Lehrberg
Verwalter zu Sulz
Castner und Vogt zu Colmberg
Vogt zu Leutershausen«

Von den indi­rek­ten Maß­nah­men von Seit­en Eich­stätts berichtet wenig später eben­falls der neue Binzwanger Pfar­rer Her­rmann:

»Die Eistettl. belangend, haben sie am vergangenen Samstag zu frühe sämtlich zu Herrieden müssen erscheinen, da ihnen eingebunden, ohne ferner Erlaubnis und Bescheid meine Kirchen nicht zu besuchen, welches sie dann nechstverschienen Sontag gehalten, und kein Mensch als 2. Kinder von Binzwang, des Hl. Bruder Gabriel und seine Haußfrau, die andern alle Marggräfl. Bauern aus den umliegenden Flecken erschienen. (…) Es ist auch meinem Meßner eingebunden worden, daß er nichts neues mit Läuten soll anfangen, als wie ers vorhin gehalten, darum sich auch, der arme Tropf gefürchtet, und die Türkenglocken am Samstag, wiewol ers jezt täglich läutet, mein Jung, welchen ich bey mir habe, läuten müssen. So darf er auch nicht in der Predigt bleiben, sondern wenn er das Geläut verrichtet, so geht er alsbalden aus der Kirchen. Es dorfen auch nicht die guten Leut nicht zu mir in Kirchhof kommen, ob sie gleich gern wollten (…).«

 

Es fol­gte ein weit­er­er Stre­it zwis­chen Ans­bach und Eich­stätt, bei dem es neben einem 1537 geschlosse­nen Ver­trag zwis­chen den bei­den Parteien und mündlichen Zusatzver­sprechun­gen auch um die Frage ging, ob die Binzwanger Kirche nicht früher ohne­hin schon zur mark­gräflichen Pfar­rei Ober­sulzbach gehört habe. Der Bischof klagte sog­ar bei Kaiser Rudolf II. in Wien, die Verurteilung des mark­gräflichen Han­dels blieb jedoch ohne Kon­se­quen­zen. Hier zeigt sich, dass das Prob­lem in den ver­schiede­nen herrschaftlichen Befug­nis­sen zu suchen ist. Das im Augs­burg­er Reli­gions­frieden von 1555 beschlossene Prinzip cuius regio, eius reli­gio, wonach der Herrsch­er eines Lan­des auch die Reli­gion bes­timmte, war in Binzwan­gen nicht so ein­deutig anzuwen­den. Denn, wie ein­gangs beschrieben, war zwar der Mark­graf von Ans­bach der Lan­desh­err in Binzwan­gen, der Bischof von Eich­stätt jedoch der Grund­herr und Besitzer des Patronat­srechts. Der Mark­graf wollte dem Bischof zwar nicht das Patronat stre­it­ig machen, behar­rte jedoch darauf, dass in Binzwan­gen ein evan­ge­lis­ch­er Geistlich­er auf der Pfar­rei sein sollte. Schließlich kon­nte sich der Mark­graf durch­set­zen und die Pfar­rei Binzwan­gen war seit 1601 evan­ge­lisch.

Eich­stätt besaß jedoch nach wie vor die Patronat­srechte, kon­nte nur nicht mehr über den Geistlichen entschei­den. Es ver­wal­tete jedoch das Heili­gen­ver­mö­gen, also das kirch­liche Ver­mö­gen, noch bis 1797 und unter­hielt daraus auch die Kirche und die Schule. Eigentlich fiel auch das Pfar­rhaus in diesen Auf­gaben­bere­ich, doch weigerte sich das Bis­tum, sich um das Pfar­rhaus für einen evan­ge­lis­chen Priester zu küm­mern, weswe­gen der Mark­graf mitunter für Instand­set­zungskosten und den Neubau von 1771 aufkom­men musste. Eich­stätt kam seinen Patronat­spflicht­en son­st jedoch nach und finanzierte 1749 den Neubau der Binzwanger Kirche. Um das Eich­stät­ter Patronat für alle gut sicht­bar darzustellen wur­den die bis­chöflichen Insignien sowohl am Turm als auch im Innen­raum ange­bracht. Dies ging den mark­gräflichen Ver­ant­wortlichen jedoch zu weit und beschützt von 25 Mus­ketieren wur­den die Zeichen wieder ent­fer­nt. Statt der Bischof­sin­signien prangt heute das Auge Gottest an der Ost­fas­sade des Kirch­turms und ist damit ein Zeichen für die wech­sel­hafte Refor­ma­tion­s­geschichte in Binzwan­gen. Sie ist ver­mut­lich auch der Grund dafür, dass die Kirchenge­meinde Binzwan­gen bis heute die Baulast an ihren Gebäu­den selb­st trägt, wohinge­gen für die meis­ten anderen evan­ge­lis­chen Kul­tus­ge­bäude im Umland eine staatliche Baulast beste­ht. Der Bischof von Eich­stätt blieb jedoch noch bis 1792 Grund­herr in Binzwan­gen. Dann erst über­nahm der preußis­che Staat das Mark­grafen­tum Ans­bach und ver­leibte sich dabei auch dieses­fremd­herrschaftliche Gebi­et ein.

 


Haup­tquelle: Schreiben des Lan­deskirch­lichen Archivs in Nürn­berg an die Evan­ge­lisch-Lutherische Lan­deskirchen­stelle vom 24. April 1968 über “Staatliche Baupflicht an den Kul­tus­ge­bäu­den in Binzwan­gen” (Sach­bear­beit­er Archivprak­tikant cand. the­ol. et jur. Talazko).

Dass der Binzwanger Fall tat­säch­lich eine Beson­der­heit darstellt, zeigt auch ein englis­ches Buch über die Ref­or­ma­tion auf dem Land, in dem Binzwan­gen als Beispiel erwäh­nt wird. Nachzule­sen bei Google Books.