07. Juni 1915: Ich wollt ich könnte auch helfen Heu machen

Zeppelin raid over Outer London.

German airships‘ first visit to London districts. Zeppelins are reported to have been seen near Ramsgate and Brentwood, and in certain outlying districts of London. Many fires are reported, but these cannot be absolutely connected with visits of airships.

The Daily News, London, 1. Juni 1915


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter
Oberfelden Mittelfrank.
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg

Werte Lina!
Die besten Grüße sendet aus weitem Feindesland E.G.P. Ihr wird [werdet es] wohl zur Zeit recht notwendig haben, ich wollt ich könnte auch helfen Heu machen. Die besten Grüße an deine Eltern und an deine Schwester.


Wer selbst keinen landwirtschaftlichen Hintergrund hat, wird es vielleicht im heißen Sommer des Jahres 2018 mitbekommen haben: Ernteausfälle sind für Landwirte existenzbedrohend. Das gilt heute ebenso wie es im Sommer 1915 galt. Insbesondere das Einbringen des Heus, das auch heute noch ein einem gefährlichen Glücksspiel mit der Natur als mächtigen Gegner (Wetter) gleicht, ist von derart großer Wichtigkeit für den Fortbestand eines bäuerlichen Betriebs über den Winter hinweg, dass es den kompletten Alltag bestimmt.

Erst mit diesem Wissen lässt sich die Bedeutung des ersten Frühsommers im Felde für Georg Probst nachvollziehen. Selbst mit dem möglichen Selbstverständnis, dass der Kriegseinsatz an der Westfront seine Abwesenheit rechtfertigte, muss es ihn betrübt haben, den Daheimgebliebenen die schwere, oft unter Zeitdruck ausgeführte Arbeit hinterlassen zu müssen. Im Leben eines Bauern gibt es 1915 eigentlich keine Entschuldigung für das Fernbleiben von der Heuernte. Dass durch den Kriegseinsatz auch in den nächsten Jahren tausende Arbeitskräfte auf dem Land fehlen werden, ist in diesem ersten Kriegsjuni freilich noch nicht absehbar.



 

22. Mai 1915: Habe soeben das Marktstück erhalten

The following statement from the general staff of the Russian commander in chief was made public tonight:
“It has been definitely established that the Germans are concentrating very great forces in east Prussia. These forces have started an offensive, which they are developing, especially in the direction of Wilkowyszki (north of Augustowo) and Lyck. The presence is reported of units composed of new recruits from central Germany. Our troops, keeping the enemy in check, are retiring from the Mazurian lakes toward our frontier.”

Sacramento Union, 12. Februar 1915.


Vorderseite Rückseite

Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelf.
Post Colmberg
Bahnst. Lehrberg

Die besten Grüße sendet dir dein Georg Probst. Habe soeben das Marktstück erhalten, meinen besten Dank. Die besten Grüße an d. Eltern.


Bei diesem Exemplar handelt es sich um die erste Karte, auf der Georg Probst nicht mehr den Ort nennt, an dem er sich gerade befindet. Das wird sich auf allen verbleibenden Feldpostkarten nicht mehr ändern und ist vermutlich einem Befehl zuzuschreiben, der verhindern soll, dass der Feind durch abgefangene Post die Standorte der deutschen Einheiten erfährt. Durch Otto Freiherr von Waldenfels Buch über die Geschichte des 11. Feldartillerie-Regiments von 1931 lassen sich die Truppenbewegungen, wenn auch nicht mehr so genau, doch immer noch grob nachvollziehen. Demnach befindet sich die Artillerieeinheit nach wie vor im Stellungskrieg östlich von Messines.

Die Vorderseite der Postkarte zeigt Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg wie er mit seinen mächtigen Armen ein ganzes Feld von winzigen gegnerischen Soldaten, die teilweise in der Flucht begriffen sind, umschließt. Die Abbildung stellt die Winterschlacht in Masuren dar, die im Februar 1915 stattfand. Das Deutsche Reich unter von Hindenburg konnte die Schlacht für sich entscheiden, wobei 16.200 deutsche und 56.000 russische Soldaten fielen, verletzt oder vermisst wurden. Außerdem wurden etwa 100.000 russische Soldaten gefangen genommen, worauf von Hindenburgs Geste auf der Karte hindeutet. Für den Sieg erhielt er das Eichenlaub zu seinem Orden Pour le Mérite (französisch „für das Verdienst“), der höchsten preußischen Tapferkeitsauszeichnung, die er bereits im Vorjahr nach der Schlacht bei Tannenberg erhalten hatte. Auf der Propagandapostkarte ist der Orden mit Eichenlaub prominent zu sehen.

Anders als der Generalfeldmarschall freut sich Georg Probst als Fahrer an der Westfront über weniger prunkvolle Dinge und bedankt sich auf der Karte bei Lina für ein Marktstück. Während der Ausdruck im heutigen Sprachschatz verschwunden und auch im Duden nicht mehr zu finden ist, geben ältere Wörterbücher Auskunft über die Bedeutung des Wortes: „Jahrmarktsgeschenk, bes. das der Bursche seinem Mädchen kauft“ (Rheinisches Wörterbuch, 1928-1971), „Geschenk vom Markt, von der Kirchweihe“ (Pfälzisches Wörterbuch, 1965-1998), „Geschenk, das der Bursche seiner Geliebten vom Markt aus der Stadt mitbringt“ (Wörterbuch der elsässischen Mundarten, 1899-1907). Worum es sich bei dem Geschenk allerdings genau handelte, muss offen bleiben. Zu vermuten ist, dass der praktische Nutzen für den Frontsoldaten den des Orden Pour le Mérite deutlich übertraf.



Weitere Informationen

Winterschlacht in Masuren
Orden Pour le Mérite

07. Mai 1915: Auch hat der L….. ins F. gemüßt

„At least 1,300 lives were lost when the Lusitania was torpedoed without warning in broad daylight yesterday afternoon by a German submarine, according to estimates by survivors. The estimate of First Officer Jones puts the total nearer 1,500.“

New York Tribune, 08. Mai 1915.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelf.
P. Colmberg Bahnst. Lehrberg

Komines, den 7. April 1915.*
Werte Lina!
Habe Brief und Karte soeben erhalten. Mache meinen besten Dank. Geht mir noch gut, was ich auch von dir und deinen Eltern auch hoffe. Wie ich aus deinem werten Schreiben sehe hat sich auch wieder manches geändert. Von K. habe ich noch keine Anwort erhalten. Auch hat der L….. ins F. gemüßt, aber [?]. Sei bestens gegrüßt sowie deine Eltern u. Schwester von Gg. Probst.
Herzliche Grüße sendet Mich. Breitschwertt.
Wie ich gelesen habe muß auch Leonh. Weber einrücken.


Diese Karte, die am Tag des folgenschweren Untergangs des Passagierschiffs Lusitania geschrieben wurde, der letztlich zur Änderung der US-Außenpolitik und dem Kriegseintritt 1917 beitrug, unterstreicht einmal mehr die gravierenden Auswirkungen des Kriegs auch auf die dörfliche Gesellschaft in der Heimat. Nachdem der schnelle Sieg über Frankreich nicht errungen werden konnte und mehr und mehr Soldaten ihre letzte Ruhestätte auf den Schlachtfeldern der Westfront fanden, mussten immer mehr neue Soldaten rekrutiert werden. Die Feldpostkarten belegen, dass sich Soldaten, die sich aus dem zivilen Leben bereits kannten, gegenseitig besuchten und Briefe schrieben. Besonders der bereits erwähnte Michael Breitschwerdt aus Cadolzhofen (4 km von Oberfelden) lässt von Georg Probst regelmäßig Grüße an Lina Neefischer überbringen. Die Initiale K steht mit hoher Wahrscheinlich für den auch in anderen Karten gelegentlich erwähnten Konrad. Dabei handelt es sich vermutlich um Konrad Weber aus Steinberg bei Leutershausen, geboren 1887 in Oberfelden, der zusammen mit Michael Breitschwerdt und Georg Probst beim 11. Feldartillerie-Regiment diente. Bei Leonh. Weber könnte es sich wiederum um den 1884 geborenen Leonhard Weber aus Unterfelden (5oo m von Oberfelden) handeln, obwohl die Kriegsstammrollen hier nicht eindeutig sind. Die nur mit dem Buchstaben L bezeichnete Person ist hingegen nicht mehr zu ermitteln.

* Der Poststempel und die Folge der versendeten Postkarten aus einer Serie legen nahe, dass hier statt Mai irrtümlich April geschrieben wurde.



Weitere Informationen

RMS Lusitania

01. Mai 1915: Wenn nur doch bald Frieden käme

„Über der Lunge verbreitet hört man das feinblasige, kochende Ödemrasseln, die Kranken ringen ächzend und stöhnend nach Luft. In diesem Zustande bietet der Kranke für die Umgebung ein schaudervolles Bild des Jammers. Man sieht förmlich, wie der Kranke in der eigenen Flüssigkeit ertrinkt, die sich in die Lungen ergossen hat. Man hat seit dem Weltkriege manches Wort über die Humanität des Gaskrieges gehört: Wer jemals einen Gaskranken in dem beschriebenen Stadium des Höhepunktes des Lungenödems gesehen hat, der muß, wenn er noch einen Funken von Menschlichkeit besitzt, verstummen.“

Der kommandierende General des 5. Armeekorps, zitiert in Muntschs „Leitfaden der Pathologie und Therapie der Kampfstofferkrankungen“ (Leipzig 1932), zitiert nach Wietzker 2006.


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Feldpostkarte
Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelfranken
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg

Werte Lina!
Habe deinen werten Brief und dein liebes Paketchen erhalten, was mich herzlich gefreut hat. Sonst ist bei dir noch alles gut und wohlauf, was auch bei mir noch der Fall ist. Nochmals meinen besten dank für den vorzüglichen Inhalt, besonders aber freute mich die Cigarrenspitz, es wird mir eine ewige Erinnerung sein. Dein Bruder hat mir auch wieder geschrieben, daß ihm soweit gut geht. Wir haben zur Zeit sehr heiße Witterung, und ich muß furchtbar schwitzen. War mein Bruder nicht erst bei dir? Wenn nur doch bald der schon lang ersehnte Frieden käme. Brief folgt demnächst. Haben z. Z. sehr viel Arbeit. Herzlich grüßt dich sowie deine l. Eltern u. d. Schwager u. Sch. Gg Probst


Nicht nur mit Postkarten und Briefen versuchte Lina mit Georg Kontakt zu halten, sondern sie schickte ihm offenbar auch immer wieder verschiedenste Geschenke. Auf dieser Postkarte bedankt sich Georg Probst für eine Zigarrenspitze, die er neben anderen Dingen mit dem letzten Päckchen erhielt. Dabei handelte es sich nicht etwa um vordersten Teil einer Zigarre, sondern um ein Mundstück, in das man eine Zigarre stecken und sie dadurch rauchen konnte.  So sehr der Soldat sich für dieses Geschenk bedankt: Die Post aus der Heimat, die Kostprobe heimatlichen Wohlstands in Kontrast zum mühevollen Frontleben in Form der Zigarrenspitze sowie die Gedanken an die Famile, führen schließlich zum Ausdruck seiner Friedenssehnsucht. Diese steht jedoch im krassen Kontrast zum tatsächlichen Geschehen an der Westfront.

Während Georg Probst seine Zigarren mit besagter Spitze rauchte, fand nur wenige Kilometer weiter nördlich der Stellung des 11. Feldartillerie-Regiments bei Mesinnes die Zweite Flandernschlacht statt. Dabei wurde am 22. April 1915 von den Deutschen zum ersten Mal Giftgas verwendet: 150 Tonnen Chlorgas wurden nordwestlich von Ypern freigesetzt und krochen auf einer Breite von 7 km auf die alliierten Grabensysteme zu. Allein 3.000 tote und 7.000 verletzte Soldaten waren die Folge dieses Einsatzes und der Gaskrieg, der fortan von beiden Kriegsparteien geführt wurde, war eröffnet. Nach einem Monat und zahllosen Opfern wurde der deutsche Durchbruchsversuch eingestellt und die Schlacht damit beendet. Der Krieg selbst jedoch hatte nach der erstmaligen Verwendung von Massenvernichtungswaffen eine neue Qualität erreicht.



Weitere Informationen

Zweite Flandernschlacht (Wikipedia)
Gaskrieg während des Ersten Weltkriegs (Wikipedia)
Wolfgang Witzker: Giftgas im Ersten Weltkrieg. Was konnte die deutsche Öffentlichkeit wissen? (Dissertation Düsseldorf 2006) [pdf]

07. April 1915: Wann wir das Glück haben

Man kann nicht begreifen, daß über so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltäglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station – es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas möglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Ströme von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.

Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues (1928)


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelf.
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg

Komines, den 7. April 1915.
Werte Lina! Habe deine werte Karte erhalten, meinen besten Dank. Wie ich sehe war mein Bruder auch bei dir, ich will sehen wann wir das Glück haben, daß wir in die Heimat zurück kehren dürfen. Es grüßt dich herzlich sowie deine E. Georg Probst.
Herzlichen Gruß Mich. Breitschwerdt.


Viele Eltern mussten nicht nur einen Sohn in den Krieg ziehen lassen, sondern oft mehrere Familienmitglieder zu dieser Reise mit ungewissem Ausgang aufbrechen lassen. Die Familie Probst war dabei keine Ausnahme und so wurde Georgs zwei Jahre jüngerer Bruder Leonhard nicht einmal ein Jahr nach Beendigung seines Militärdiensts, während dem er bereits zum Gefreiten befördert wurde, zum Kriegseinsatz einberufen. Er kam zum Königlich Bayerischen 2. Fußartillerie-Regiment und nahm wie sein Bruder an der Schlacht von Lothringen Teil, hatte jedoch weniger Glück und wurde am 06. September 1914 bei Nancy durch Schrapnellkugel am rechten Oberarm verletzt. Nach einem zehntägigen Aufenthalt im Festungslazarett von Metz gelangte er ins Lazarett des Roten Kreuzes nach Wiesbaden. Dort verbrachte er offenbar mehrere Monate, denn erst am 07. Februar 1915 wurde er wieder einer Einheit zugewiesen, bereits im April des selben Jahres aber wegen Feld- und Garnisonsdienstunfähigkeit entlassen. Leonhard trat offenbar erst wieder am 01. November in den aktiven Dienst beim Ersatz Bataillon 3. Fußartillerie Regiment ein. Vermutlich, denn der dritte Bruder war zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt, war er es, der seine spätere Schwägerin Lina im Frühjahr 1915 besucht hat. Seine offenbar nicht ganz einfachen Verwundung, welche die Realität des Krieges bis nach Binzwangen und Oberfelden brachte, trug sicher nicht zur Beruhigung von Familie und Freunden bei.

GeschwisterProbstDie drei Brüder Probst (undatiert), v. l.: Johann Georg (1889-1975), Georg Leonhard (1891-1951) und Leonhard Georg (1901-1973).


03. April 1915: …daß wir von der lieben Heimat Abschied genommen haben

„Grade die tiefe Verwurzelung mit der Heimat schließt das Vaterlandsgefühl im Landvolk ganz aus, das ihm mit dem Vorgeben zugemutet wird, die Heimat erstrecke sich über das ganze jeweils staatlich beherrschte Land, welches, dem heimischen Acker gleich, innerhalb der geltenden Staatsgrenzen zu lieben sei, wobei vor und nach Kriegen das mit solcher Liebe zu umfangende Gebiet in neuen, engeren oder weiteren Grenzen ins Heimatgefühl einbezogen werden müsse. Der bäuerliche Geist kennt weder eine seelische Zusammengehörigkeit mit Menschen, zu denen gar keine gemeinsamen Lebenswege laufen, mögen diese Menschen immerhin innerhalb der gleichen Staatsgrenzen wohnen, noch kennt er Haß und Geringschätzung gegen Fremde, die nicht schädigend in seine Kreise einzudringen suchen, mögen diese Fremden diesseits oder jenseits eines Gebirgszuges hausen, mögen sie eine Hautfarbe, eine Kopfform, eine Ahnenreihe haben wie sie wollen. Dagegen sträubt sich die Natur des Bauern aufs heftigste gegen alles, was ihm die Selbstbestimmung in seinem Schaffensbezirk schmälern will, was den Geist der gegenseitigen Verständigung auf dem Lande durch obrigkeitlichen Befehl zu ersetzen sucht, gegen jedes Dreinreden einer Zentralstelle in seine Angelegenheiten, gegen Beamtentum und Bürokratie, gegen den Staat, wo das Dorf in Frage steht, gegen das Gesetz, wo Verträge möglich sind.“

Erich Mühsam über die Bauern (Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, 1933).


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Feldpostkarte
Wohlgb.
Herrn Georg Neefischer
Gutsbesitzer
Oberfelden P. Colmberg
Bahnst. Lehrberg Mittelfranken

Komines 3.4.1915.
Werter Vetter!
Es ist ja schon eine lange Zeit her, daß wir von der lieben Heimat Abschied genommen haben, und ich erlaube mir auch einmal mit einer Karte aus fernem Feindesland zu grüßen. Mir geht es soweit noch gut u. bin noch gesund, was ich auch von Euch allen hoffe. Hoffend grüßt Euch auf ein baldiges Wiedersehen Euer Vetter Gg. Probst.


Dass die Beziehung zwischen Georg Probst und Lina Neefischer keine beiläufige oder gar von den beiden geheim gehaltene Bekanntschaft war, bezeugt diese Postkarte von Anfang April 1915. Während bisher nur Lina die Empfängerin der Karten war, ist sie nun an ihren Vater, Georg Neefischer (1845-1928), adressiert. Über das Verhältnis der beiden Namensvettern lässt sich nur spekulieren und vermuten, dass Georg Probst als ältester Sohn eines großen Bauern aus dem nahen Binzwangen von dem ebenfalls großen Bauern („Gutsbesitzer“) aus Oberfelden als gute Partie für seine Tochter angesehen wurde. In jedem Fall zeugt die Wortwahl auf der Karte von bewusster Ehrerbietung, z.B. wenn vom „wohlgeborenen Herrn“ und „wertem Vetter“ die Rede ist. Obwohl das Prädikat Wohlgeboren eine sehr variable Verwendung fand, deutet es auf eine durchaus angesehene Stellung zumindest in der Dorfgemeinschaft hin. Die Anrede als Vetter bezeichnet hier natürlich kein Verwandtschaftsverhältnis, sondern ist eher als „ehrende Anrede“* zu verstehen.

HausNeefischerOberfeldenHaus der Familie Neefischer in Oberfelden. (Notiz auf Fotografie: „Bruder von Oma und Eltern“, vermutlich 1. v.l. Bruder, 2. v.l. Mutter und 4. v.l. Vater von Lina Neefischer.)

Der Hof der Familie Neefischer, dem Bestimmungsort der Postkarten aus Belgien und Frankreich, ist geprägt von einem eingeschossigen Fachwerkhaus aus dem Jahre 1699, das wohl bereits Anfang des 19. Jahrhunderts durch sein hohes Alter aufgefallen und heute im 315. Jahr seines Bestehens als Baudenkmal in der Denkmalliste eingetragen ist. Das Entstehungsjahr der abgebildeten Fotografie ist leider nicht überliefert und auch die Personen sind derzeit nicht eindeutig zuzuordnen. Vermutlich handelt es sich aber bei der 2. und 4. Person von links um die Eheleute Neefischer, d.h. um die Eltern von Lina.

Obwohl die folgenden Abbildungen die Situation im frühen und mittleren 19. Jahrhundert wiedergeben, d.h. etliche Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, sollen sie hier zur Illustration der Landschaft und des Ortsbilds dienen. Es ist anzunehmen, dass sich zwischen ihrer Enstehung und dem Ersten Weltkrieg weniger verändert hat als zwischen dem Ersten Weltkrieg und heute. Die Positionsblätter Bayerns entstanden aufgrund militärischer Überlegungen zwischen 1821 und 1881 im Maßstab 1 : 25.000 und dienten als Vorlage für die Erstellung des Topographischen Atlas vom Königreich Bayern. Im hier gezeigten Ausschnitt befinden sich Stettberg, Binzwangen, Oberhegenau und Oberfelden sowie die damaligen Straßen, Wege und Flussverläufe.

PositionsblattPositionsblatt der Gegend um Binzwangen und Oberfelden. (Karte im BayernAtlas anzeigen. Positionsblätter 1:25000 (1817-1856): © 2014 Bayerische Vermessungsverwaltung.)

Die Karten der bayerischen Uraufnahme wurden zwischen 1808 und 1864 geschaffen, um eine Grundlage für eine exakte Berechnung der Grundsteuer zu erhalten, weshalb sie auch jedes einzelne Grund- und Flurstück aufweisen. Zu einem Besitz gehörende Flächen sind darin jeweils mit einer Nummer versehen, was einen interessanten Einblick in die damaligen Eigentumsverhältnisse erlaubt.

Oberfelden UraufnahmeOberfelden und umliegende Flurstücke im 19. Jahrhundert. (Karte im BayernAtlas anzeigen. Uraufnahme (1808-1864): © 2014 Bayerische Vermessungsverwaltung.)



Weitere Informationen

* Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm heißt es dazu: vetter wird zur ehrenden anrede, indem die vorstellung einer verwandtschaft zwischen dem sprechenden und angeredeten als etwas erfreuliches empfunden wird;“

Das Geoportal Bayern bietet mit seinem BayernAtlas den Zugang zu aktuellen Karten und Luftbildern aber auch zu den erwähnten historischen Karten.

27. März 1915: Ostergrüße aus fernem Feindesland

„Der Wille Gottes ist Liebe. Uns umtobt der Haß, aber die Liebe ist doch das Größte unserer Zeit. O herrliche Glut der Liebe. Seid uns gegrüßt und gesegnet ihr alle, die ihr so freudig hinausgezogen seid und das Leben gebt in der großen Treue bis an den Tod, und das Vaterland rettet, — das lohn euch Gott in alle Ewigkeit. Wer doch wie ihr das Leben opfern könnte in den Friedenswerken der Liebe, in dem vollen Leben für andere, für das Vaterland! Was wir ersehnen und doch nur so unvollkommen vollbringen, Jesus hat’s getan. Dieses Leben, das am Kreuz vollendet ist, ist nur Liebe gewesen, nur Geben, nur Dienen, nur Opfern, mit jeder Tat und mit allem Dulden, mit jedem Wort und jedem Gedanken. Und jetzt, da die kalten Wasser das Feuer seiner Liebe auslöschen wollen, jetzt flammt sie in göttlicher Gewalt auf gegenüber allem Undank, aller Untreue, allem Spott, allen Mißhandlungen, allem Haß. In seinem Herzen die Angst für seine Mörder: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das ist das Wunder der Liebe in der Welt der Selbstsucht, des Hasses, des Raubens und Mordens, das ist der Sieg. Er hat’s vollbracht. (…)
Jesu Todesstunde erinnert an unsere Todesstunde. Wann hätte sie es ernster und dringender getan als in diesem Jahre. Herrlich ist es, wenn in der letzten Stunde der Blick auf den Sieg, der Gedanke an Kaiser und Vaterland die Seele aus dem Tod ins Leben hebt, selig, wenn sich der letzte Blick auf den Gekreuzigten von Golgatha richtet, und es wie bei dem sterbenden Sohne Gottes heißt: Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.“

Aus der Kriegspredigt von Pfarrer Friedrich Lahusen, gehalten am Karfreitag 1915 in der Dreichfaltigkeitskirche zu Berlin.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden P. Colmberg
Bahnst Lehrberg
Mittelfranken

27. III. 1915
Werte Lina.
Fröhliche Ostergrüße aus fernem Feindesland sendet Georg Probst.
Habe Karte erhalten, besten Dank. Viele Grüße an d. Eltern u. Schwester.


Die obligatorische Grußkarte zu den Osterfeiertagen fällt im Jahre 1915 denkbar knapp aus, doch betont Georg Probst, dass er dieses Fest nicht in seiner Heimat verbringt. Wahrscheinlich ist es das erste Mal überhaupt, dass er an Ostern nicht in Binzwangen ist und dort den Gottesdienst besucht.

Trotz der Kürze eignet sich die Karte aus dem März 1915 besonders gut, um zu beschrieben, an welchem Ort im „Feindesland“ der Verfasser im Kriegseinsatz war und von wo aus er die Feldpostkarten nach Oberfelden schickte. Nachdem er während des Winters östlich von Wijtschate in der Nähe von Oosttaverne im Feld gelegen war oder in Comines Quartier bezogen hatte, wurde das 11. Feldartillerie-Regiment Anfang März in den Süden verlegt. Es befand sich nun östlich von Messines. Während alle anderen Batterien laut Karte nach Westen ausgerichtet waren, zielte die 3. Batterie von Georg Probst nach Süden in Richtung des Ploegsteerter Waldes, einer Anfang 1915 stark umkämpften Gegend.

Da anders als während der ersten Kriegsmonate, in denen jede Karte mit einer Ortsangabe versehen war, im Verlauf des Jahres 1915 diese Informationen auf den Postkarten vollständig verschwinden und bis zum Kriegsende auch nicht mehr erscheinen, sind die militärischen Stellungen der einzige Hinweis auf den Ursprung der Feldpost. So können Karten ohne genauere Angaben bis Ende Oktober mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Gegend zwischen Messines und Gapaard verortet werden.

März1915StellungenscaledStellungen der Batterien des 11. Feldartiellerie-Regiments südlich von Ypern (nach von Waldenfels 1931*). Georg Probst gehörte zur III. Batterie.

Diese genaue Verortung der III. Batterie erlauben die Ausführungen von Waldenfels‘ (1931, S. 82):

„Eine neue Verschiebung nach Süden ergab sich durch das Herausziehen der 6. b. Res. Div. am 4. März 1915 und die dadurch notwendig werdende Verbreiterung des Divisions-Abschnittes. […]
Es wurden von den Batterien des Regiments folgende Stellungen bezogen: 1. Battr. westl Gapaard, diese Batterie hatte außerdem die beiden belgischen Geschütze im Abschnitt des Res. Inf. Regts. 5 nahe der Hospitzmühle zu besetzen. 2. Battr. in Gapaard. 3. Battr. am Blauwen Molen Hügel, dazu kam noch die Besetzung des belgischen Geschützes bei Spanbroek Molen und des Ruisseau Ferme Zuges im Douve-Grund. 4. Battr. etwa 900 m östl. Ferme Verrat. 5. Battr. in Gapaard. 6. Battr. etwa 300 m südw. Ferme Deconick.“

Natürlich wurde in diesem Krieg keine Rücksicht auf sakrale Gebäude genommen, auch nicht an hohen Feiertagen wie Ostern. Davon gibt der nächste Absatz Zeugnis:

„Besonderer Wert war in dem unübersichtlichen Gelände auf die Auswahl der Beobachtungsstellen zu legen. 1., 5. und 6. Battr. richteten diese auf dem „Pilz“, einem Turm der südl. Häuserfront des Klosters Messines ein, 2. Battr. in einem Haus an der Straße Messines-Wytschaete (Heughebaert Fe.). Die Beobachter der 3. Battr. zogen in die sogen. „Villa Brenzlich“ am Straßenkreuz 200 m südwestl. des Blauwen Molen Hügels, da von hier aus günstige Beobachtungsmöglichkeit gegen den Ploegsteert Wald war. Die Beobachtung der 4. Battr. ging in das „Weiße Haus“ am Westrand von Messines, ein vorgeschobener Beobachter nach Moulin de l’Hospice, später „Haubitzmühle“ genannt. Alle Batterien erhielten nun meist bestimmte Namen nach ihrem Aufstellungsplatze, die sich rasch einbürgerten. Mit Ausnahme geringfügiger Veränderungen blieben die Batterien in diesen Stellungen bis zur Ablösung der Division im Oktober 1915.“

Von der Situation im Kloster von Messines im Januar 1915 erzählt uns der Arzt Dr. Georg Cohn in seinem lesenswerten Tagebuch**:

„Die Artillerie feuert Tag für Tag. Das Kloster bleibt hartnäckiges Zielobjekt. Man kann bald gar nicht mehr frische Luft schöpfen. Es ist schon eine Heldentat, im Kloster spazieren zu gehen. Man trifft keine Seele am Tag zwischen den Trümmern. Und nachts kann man sich in den Löchern, zwischen den Drähten, Balken und Steinen mühelos Hals und Bein brechen. Das ist aber keine passende Form für den Heldentod.“

Schließlich geben Bilder des unversehrten Klosters und Aufnahmen des bayerischen Architekten Joseph Elsner junior*** aus dem März und April 1915 einen Eindruck von der Zerstörungskraft der Artillerie an der Westfront (zum vergrößern klicken):

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Weitere Informationen

* Otto von Waldenfels: Das K. B. 11. Feldartillerie-Regiment. (= Erinnerungsblätter deutscher Regimenter. Bayerische Armee. Bd. 72). Schick. München 1931.

** Georg S. Cohn: Müßig zu fragen, worum der Krieg geht. Das Kriegstagebuch 1914-1918 des Dr. Georg Sally Cohn. (Herausgegeben von Günter Jul Müller). Europeana. München 2001. [Download]

Georg Sally Cohn
Georg Sally Cohn

*** Von Melsner.de. Informationen zu Joseph Elsner junior gibt es bei Wikipedia.

06. Februar 1915: Ich stand 2 m vor ihm

An meine Bayern!

Deutschland hat den Kampf nach zwei Fronten aufgenommen. Der Druck der Ungewißheit ist von uns gewichen, das deutsche Volk weiß, wer seine Gegner sind. In ruhigem Ernst, erfüllt von Gottvertrauen und Zuversicht, scharen unsere wehrhaften Männer sich um die Fahnen. Es ist kein Haus, das nicht teil hätte an diesem uns frevelhaft aufgedrungenen Krieg.
Bewegten Herzens sehen wir unsere Tapferen ins Feld ziehen. Der Kampf, der unser Heer erwartet, geht um die heiligsten Güter, um unsere Ehre und Existenz. Gott hat das deutsche Volk in vier Jahrzehnten rastloser Arbeit groß und stark gemacht, er hat unser Friedenswerk sichtbar gesegnet. Er wird mit unserer Sache sein, die gut und gerecht ist.Wie unsere tapferen Soldaten draußen vor dem Feind, so stelle auch zu Hause jeder seinen Mann. Wollen wir, jeder nach seiner Kraft, im eigenen Land Helfer sein für die, die hinausgezogen sind, um mit starker Hand den Herd der Väter zu verteidigen. Tu jeder freudig die Pflicht, die sein vaterländisches Empfinden ihn übernehmen heißt. Unsere Frauen und Töchter sind dem Lande mit tatkräftigem Beispiele vorangegangen.
Bayern! Es gilt das Reich zu schützen, das wir in blutigen Kämpfen mit erstritten haben. Wir kennen unsere Soldaten und wissen, was wir von ihrem Mut, ihrer Manneszucht und Opferwilligkeit zu erwarten haben. Gott segne unser tapferes deutsches Heer, unsere machtvolle Flotte und unsere treuen österreichisch-ungarischen Waffenbrüder! Er schütze den Kaiser, unser großes deutsches Vaterland, unser geliebtes Bayern!

München, den 4. August 1914

Ludwig.

 


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter
Oberfelden
P. Colmberg. Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

 

Komines, 6.2.1915
Werte Lina!
Habe deine werte Karte erhalten, was mich sehr gefreut hat. Ich bin noch immer gesund, was ich auch von dir und l. Eltern noch hoffe. Gestern war bei uns der König, ich stand 2 m vor ihm. Sei herzlich gegrüßt sowie deine l. Eltern auf ein baldiges […] G. Probst.

 


Obwohl der Oberbefehl über alle Truppen beim deutschen Kaiser lag, gehörte Georg Probst der traditionsreichen bayerischen Armee an, die sich im Deutschen Reich eine gewisse Eigenständigkeit bewahren konnte. Ludwig III. (1845 – 1921) war seit 1913 nicht nur König von Bayern, sondern in dieser Funktion auch Generalfeldmarschall der bayerischen Armee. Sein Sohn Kronprinz Rupprecht war als Oberbefehlshaber der 6. Armee sogar aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt.

Ludwig III of Bavaria visiting troops, Comines, FranceLudwig III beim Besuch in Comines, 1915 (© Mary Evans Picture Library*).

Nur schwer lässt sich die Gefühlslage des Binzwangers aus dem kurzen aber prägnanten Satz herauslesen, in dem er vom Besuch des Königs spricht. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er aufgeregt und begeistert schreibt nachdem er seinem König ganz nah gekommen ist. (Ob ein Mitarbeiter der Feldpost sich noch ganz von Begeisterung eingenommen reghaft mit seinem Kameraden über den königlichen Besuch unterhielt und daher versehentlich die letzte Zeile der Postkarte abschnitt, muss ebenfalls offen bleiben.)

Ein anderer Augenzeuge des Königsbesuchs berichtet in seinem Tagebuch** in leicht spöttischem Ton von dem Ereignis:

5. Februar 1915

König Ludwig besucht die 6. B.R.C. Von uns defiliert das gerade in Ruhe befindliche I. Batl. mit vorbei. Ich habe dienstliche Order für die Parade: Unfallstation. Also werde ich mir die allerhöchste Stufenleiter aus allernächster Nähe ansehen.

*

Fußmarsch nach Warwick [Hierbei handelt es sich um den belgischen bzw. französischen Ort Wervik bzw. Wervicq unmittelbar östlich von Comines.]. Treffpunkt Straßenkreuzung Warwick-Martiere. Major Arnold befindet sich in gottgewollter Aufregung. Der Tag – ein blauer Wintertag, lind wie unser Frühling. Man hat die Truppen ein bisschen gedrillt. Aber nicht zuviel. Die bayerischen Haxen sind auch nicht für den preußischen Parademarsch gedrechselt. Bei einer Kompanie gab es gestern noch eine schwierige Toilettenfrage. Ein nicht ganz kleiner Teil der Leute trug kniekurze Mäntel, Schützengraben-Facon. Bei den anderen waren die Mäntel noch in natürlicher Länge vorhanden. Die Frage sollte mit Hilfe der Schere radikal gelöst werden. Das Bataillon verweigerte aber die Genehmigung. Die Kammer wurde geplündert und die Kompanie maskierte sich mit gepumpten Stücken. Die Parade findet in Marschkolonne auf der breiten Straße statt. Die Straße bilden hier ein großes Hufeisen. So weit man sieht, ist sie eingefasst von Truppen, die hier geordnet werden. Ein englischer Flieger hat Wind bekommen und will zusehen.

Die Abwehrgeschütze tosen, die MG rattern unaufhörich. Sie schießen gut, eine Zeitlang kommt er nicht aus ihrer doppelten Geschossstraße heraus. Schließlich hat er wohl genug gesehen und zieht ab. Die Spannung wächst. Ich stehe auf einer Bodenwelle, gegenüber auf der anderen Straßenseite ist ein Bretterboden für die allerhöchsten Herrschaften. Plötzlich von fern her ein Ruf, am anderen Straßenende kommt Ruhe in die Masse, ein Blitzen präsentierter Bajonette und die Musik spielt, die Kapellen spielen ineinander fallend. Nun ist der alte Herr heran. Der alte Herr geht zu Fuß die ganze Linie ab. Ruckweise klingt es herüber, dreimal Hurrah, ruckweise pflanzt es sich fort, das Hurrah, das Zucken der Bajonette.

Dann marschieren die Truppen vorbei. Sie ziehen frisch drauflos, parademäßig schauen sie nicht aus. Zwei Kompanien haben noch Grabenschmutz auf den Mänteln und Stiefeln (sie haben erst nachts vorher abgelöst). Aber der alte Herr lächelt sie sehr zufrieden an, und er tut sehr recht daran. Wenn die Geschichte vom König und seinem Volk einen Sinn hat, dann hier. Man braucht nicht mit dem Paradeflunkern nachzuhelfen.

 



Weitere Informationen

Ludwig III. (Wikipedia)

* Der beste Dank gilt an dieser Stelle der Mary Evans Picture Library, die mir das so gut zur Postkarte passende Bild unentgeltlich zu Verfügung gestellt hat. Viele weitere historische Bilder sind hier zu finden: www.maryevans.com

** Leider ist weder der Autor noch das gesamte Tagebuch zu recherchieren. Lediglich ein Teil seiner Aufzeichnungen lässt sich online nachlesen. [Ergänzung vom 28. Juni 2014: Bei dem Autor des Tagebuchs handelt es sich um den 31 Jahre alten jüdischen Assistenzarzt Georg Sally Cohn aus Königsberg. Das vollständige Tagebuch ist hier zu finden.]

02. Februar 1915: Ziemlich kalt

Bekanntmachung

1. Die Gewässer rings Großbritanniens und Irlands einschließlich des gesamten englischen Kanals werden hiermit als Kriegsgebiet erklärt. Vom 18. Februar 1915 an wird jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden, ohne daß es immer möglich sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden.

2. Auch neutrale Schiffe laufen in dem Kriegsgebiet Gefahr, da es angesichts des von der britischen Regierung am 31. Januar angeordneten Mißbrauchs neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Seekrieges nicht immer vermieden werden kann, daß die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe auch neutrale Schiffe treffen.

3. Die Schiffahrt nördlich um die Shetlands-Inseln, in dem östlichen Gebiet der Nordsee, in einem Streifen von mindestens 30 Seemeilen Breite entlang der niederländischen Küste ist nicht gefährdet.

Berlin, 4. Februar 1915.

Der Chef des Admiralstabs
gez. v. Pohl


Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter Oberfelden
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

Komines, den 2. Februar 1915
Werte Lina.
Habe heute deinen werten Brief dankend erhalten. Ich bin noch immer gesund, was ich auch von Dir und l. Eltern und deiner Schwester noch hoffe. Wie ich aus deinem neusten Brief sehe, müssen wieder viele einrücken. Bei uns ist es zieml. kalt und schneit auch mal. Sei herzlich gegrüßt sowie deine lieben Eltern u. Schwester von deinem G. Probst.


Abermals aus Comines schreibt Georg Probst während des Winters im Februar 1915 nach Oberfelden. Während an der Front zu diesem Zeitpunkt keine größeren Gefechte geschlagen werden, bekommt die Bevölkerung zuhause die großen Verlusten der ersten Kriegsmonate auf verhängnisvolle Art und Weise zu spüren. So berichtet Lina offenbar in einem Brief, dass immer mehr Männer zum Kriegseinsatz eingezogen werden.


25. Januar 1915: Dass Dein Wunsch recht bald in Erfüllung geht

„Die in ihren Anfängen viel geschmähte Feldpost leistet täglich Wunderdinge; am 16. Januar 1915, an welchem Tage eine Zählung vorgenommen wurde, sind aus dem Deutschen Reich 7 989 940 Feldpostsendungen nach dem Felde abgegangen, nämlich 4 304 770 portofreie, also meist bis 50 Gramm schwere Briefe und Postkarten, und 3 685 170 schwerere frankierte Feldpostbriefe und Feldpostpäckchen.“

Arnold Steinmann-Bucher, Deutschlands Volksvermögen im Krieg (1916).


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Post Colmberg
Bahnst. Lehrberg Mittelfrnk.

Komines, 25.1.1915
Werte Lina!
Habe deine neuste Karte u. Brief erhalten. Ich mache dafür meinen besten Dank u. wünsche, daß dein Wunsch recht bald in Erfüllung geht, worauf ich mich selbst sehne. Sonst geht es mir noch gut, was bei dir u. deinen l. Eltern auch noch der Fall ist wie ich sehe. Anbei übersende ich dir eine Ansicht von meinem Winteraufenthalt. Brief folgt. Sei recht herzlich gegrüßt sowie d. l. Eltern von deinem unvergesslichen G. Probst.


Anfang 1915 befindet sich die Division von Georg Probst weiter im Stellungskrieg südlich von Ypern: „Die Gefechtstätigkeit war in den ersten Wochen des neuen Jahres meist gering. Schnee, Regen und vor allem der dichte Nebel verhinderten Freund und Feind, sich lebhafter zu bekämpfen. (…) Lästig wurden vor allem die sich mehr und mehr verstärkenden feindlichen Flieger, die besonders in den Nachmittagsstunden bei guter Sicht ganze Batterien lahmlegten. Zur Fliegerabwehr behelfsmäßig auf Pivots montierte Feldgeschütze waren viel zu unbeweglich, als daß sich irgendwelche namhafte Erfolge hätten erzielen lassen.“*

Offenbar befand sich Georg Probst jedoch nicht die ganze Zeit über an den Artilleriestellungen, denn diese Postkarte stammt wie jene vom 20. Dezember des Vorjahres aus der hinter der Front gelegenen Stadt Comines, seinem „Winteraufenthalt“. Der Wunsch von Lina Neefischer ist leider nicht überliefert, angesichts des länger als erwartet dauernden Krieges, der sich nun auch im neuen Jahr weiter fortsetzt, handelt es sich dabei möglicherweise um den Wunsch nach baldigem Frieden und Rückkehr der Soldaten.

Sämtliche Briefe, die sich Georg und Lina offenbar parallel zu den Postkarten geschrieben zu haben scheinen, sind leider nicht mehr vorhanden. Weniger im Platz beschränkt als auf einer Karte und mit der vermeintlich größeren Privatsphäre eines verschlossenen Umschlags enthielten diese Briefe vermutlich detailliertere Berichte über die Kriegserlebnisse oder die Geschehnisse in der Heimat.



Weitere Informationen

* aus: Otto von Waldenfels: Das K. B. 11. Feldartillerie-Regiment. (= Erinnerungsblätter deutscher Regimenter. Bayerische Armee. Bd. 72). Schick. München 1931.