„Im heiligen Namen Gottes, unseres himmlischen Vaters und Herrn, um des gesegneten Blutes Jesu willen, welches der Preis der menschlichen Erlösung gewesen, beschwören Wir Euch, die Ihr von der göttlichen Vorsehung zur Regierung der kriegsführenden Nationen bestellt seid, diesem fürchterlichen Morden, das nunmehr seit einem Jahr Europa entehrt, endlich ein Ziel zu setzen. Es ist Bruderblut, das zu Lande und zur See vergossen wird. Die schönsten Gegenden Europas, dieses Gartens der Welt, sind mit Leichen und Ruinen besät. Ihr tragt vor Gott und den Menschen die entsetzliche Verantwortung für Frieden und Krieg. Höret auf Unsere Bitte, auf die väterliche Stimme des Vikars des ewigen und höchsten Richters, dem Ihr werdet Rechenschaft ablegen müssen. Die Fülle der Reichtümer, mit denen Gott der Schöpfer die Euch unterstellten Länder ausgestattet hat, erlauben Euch gewiss die Fortsetzung des Kampfes. Aber um was für einen Preis? Darauf mögen die Tausende junger Menschenleben antworten, die alltäglich auf den Schlachtfeldern erlöschen.“
Aus Papst Benedikts XV. Exhortatio Allorché fummo chiamati (28. Juli 1915)
Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter
Oberfelden
Bahnst. Lehrberg Post Colmberg
Mittelfranken
Komines, 20.Dez.1914.
Werte Lina!
Ich bin noch gesund und munter, was ich auch von dir und deinen lieben Eltern noch hoffe. Ich wünsche dir und deinen l. Eltern eine fröhliche Weihnachten u. ein glückliches neues Jahr. Sei bestens gegrüßt von Gg. Probst.
Dieses ist die erste von mehreren Karten, die Georg Probst im Winter 1914/1915 aus der französischen Grenzstadt Comines nach Oberfelden schickt. In einer der nächsten Postkarten nennt er die 7 km von der Front entfernt liegende Stadt seinen „Winteraufenthalt“.
Weihnachten 1914 ist besonders wegen des Weihnachtsfriedens an Teilen der Westfront bekannt. Dabei handelt es sich um spontan unter den Soldaten in den Schützengräben ausgehandelte Waffenstillstände am 23. und 24. Dezember, denen u.a. das gemeinsame Singen von Liedern, das Austauschen von kleinen Geschenken oder das oft zitierte Fußballspiel zwischen Briten und Deutschen folgten.
Natürlich erfolgte diese eindrucksvolle Verständigung nicht überall an der Westfront und es muss davon ausgegangen werden, dass Georg Probst selbst nicht daran teilgenommen hat. Auch wiederholte sich der Weihnachtsfriede in den kommenden Jahren nicht, da die Befehlshaber solche Handlungen nun streng bestraften und die Totalisierung des Krieges weiter fortgeschritten war.
Soldaten des 10. Königlich Sächsischen Infanterie-Regiments Nr. 134 und des britischen Royal Warwickshire Füsilierregiments während des Weihnachtsfriedens 1914. (Foto: Imperial War Museum)
Der britische Soldat Private Frederick W. Heath beschreibt die Ereignisse so:
„Die Nacht brach früh herein – die geisterhaften Schatten, welche die Gräben heimsuchen, kamen uns Gesellschaft zu leisten während wir an den Waffen standen. Unter einem bleichen Mond konnte man gerade noch die gräbergleiche Erhebung des Bodens erkennen, der die deutschen Gräben in 200 Yard Entfernung kennzeichnete. Das Feuer der englischen Stellung war erstorben und nur das Matschen der aufgeweichten Stiefel im schmierigen Schlamm, die geflüsterten Befehle der Offiziere und Unteroffiziere und das Ächzen des Windes durchbrach die Stille der Nacht. Der Weihnachtsabend der Soldaten war schließlich gekommen und es war weder die Zeit noch der Ort, um dankbar dafür zu sein.
Die heilige Erinnerung hielt uns in trauriger Stille. Zuhause, irgendwo in England, brannten die Feuer in wohligen Räumen und im Gedanken hörte ich das Lachen und die tausend Wiedersehensmelodien am Weihnachtsabend. Der Mantel dick mit nassem Schlamm und mit durch den Frost aufgerissenen und wunden Händen lehnte ich an der Wand des Grabens und blickte durch meine Schießscharte mit müden Augen zu den deutschen Gräben. Gedanken drängten sich in meinem Geist, aber sie hatten keinen Zusammenhang, keinen Halt. Die meisten waren von Zuhause wie ich es aus den Jahren kannte, die mich hier her gebracht haben. Ich fragte mich warum ich überhaupt so miserabel hier in den Gräben war, wo ich doch auch warm und glücklich in England hätte sein können. Diese unfreiwillige Frage war schnell beantwortet. Gibt es nicht eine Vielzahl von Häusern in England und musste sie nicht jemand instand halten? Ich dachte an ein zerstörtes Landhaus in — und war froh, dass ich in den Gräben war. Dieses Landhaus war einst das Zuhause von jemandem.
Noch immer blickend und träumend erspähten meine Augen ein Flackern in der Dunkelheit. Zu dieser Stunde war ein Licht in den feindlichen Gräben so selten, dass ich eine Nachricht davon durch unsere Stellung schickte. Ich hatte kaum ausgesprochen als entlang der deutschen Front Licht um Licht anging. Sehr nah an unseren Unterständen – so nah, dass ich hochfuhr und mein Gewehr packte – hörte ich eine Stimme. Man konnte sich bei dieser Stimme mit ihrem kehligen Ton nicht irren. Mit aufgestellten Ohren lauschte ich. Und dann drang zu unserer Stellung aus Gräben ein Gruß, den man im Krieg nur einmal hört: „Englischer Soldat! Englischer Soldat! Ein frohes Weihnachten! Ein frohes Weihnachten!“
Nach diesem Gruß folgten lebhafte Einladungen dieser rauen Stimmen: „Komm heraus, englischer Soldat! Komm heraus zu uns!“ Eine kurze Zeit waren wir vorsichtig und antworteten überhaupt nicht. Die Offiziere vermuteten eine List und befahlen den Männer still zu sein. Doch entlang unserer Stellung hörte man Männer den Weihnachtsgruß des Feindes beantworten. Wie konnten wir widerstehen, uns gegenseitig Frohe Weihnachten zu wünschen, auch wenn wir uns unmittelbar danach an die Kehle gehen würden? Also führten wir ein anhaltendes Gespräch mit den Deutschen, währenddessen wir unsere Hände einsatzbereit an den Gewehren hatten. Blut und Frieden, Feindschaft und Brüderlichkeit – das erstaunlichste Paradox des Krieges. Es begann zu dämmern – die Nacht war leichter gemacht worden durch Lieder aus den deutschen Gräben und das Pfeifen der Piccoloflöten sowie durch das Gelächter und die Weihnachtslieder in unserer Stellung. Kein einziger Schuss wurde abgegeben, lediglich zu unserer Rechten war die französische Artillerie am Werk.
Die Morgendämmerung kam und malte den Himmel in grau und rosa. Im ersten Licht sahen wir wie sich unsere Gegner unbekümmert außerhalb ihrer Gräben bewegten. Das war in der Tat mutig. Sie suchten nicht die Sicherheit ihrer Unterstände, sondern boten uns eine dreiste Einladung, auf sie zu schießen und sie mit tödlicher Sicherheit umzubringen. Aber haben wir geschossen? Natürlich nicht! Wir standen ebenfalls auf und riefen Segensgrüße zu den Deutschen. Darauf folgte die Einladung, aus unseren Gräben zu kommen und uns auf halbem Wege zu treffen.
Noch immer vorsichtig zögerten wir. Nicht so die anderen. Sie rannten in kleinen Gruppen vorwärts, ihre Hände über ihren Köpfen, und sagten, wir sollten das selbe tun. Einem solchen Aufruf konnte man nicht lange widerstehen – zudem, beschränkte sich der Mut bislang nicht auf eine einzige Seite? Einige von uns prangen auf die Brustwehr und begannen die ankommenden Deutschen zu begrüßen. Unsere Hände streckten sich aus und schlossen sich im Griff der Freundschaft. Weihnachten hatte die erbittertsten Feinde zu Freunden gemacht.
Hier gab es nicht den Wunsch zu töten, sondern nur den Wunsch einiger einfacher Soldaten (und niemand ist so einfach wie ein Soldat), dass am Weihnachtstag unter allen Umständen die Macht des Feuers aufhören sollte. Wir gaben einander Zigaretten und tauschten alle möglichen Dinge. Wir schrieben unsere Namen und Adressen auf die Feldpostkarten und tauschten sie gegen deutsche. Wir schnitten die Knöpfe von unseren Mänteln und bekamen im Austausch dafür das kaiserliche Wappen. Aber das Geschenk aller Geschenke war Christmas Pudding. Die Augen der Deutschen wurden bei seinem Anblick in hungrigem Erstaunen größer und mit dem ersten Bissen waren sie für immer unsere Freunde. Hätten wir eine ausreichende Menge Christmas Pudding gehabt, jeder Deutsche in den Gräben vor uns hätte sich ergeben.
So standen wir für eine Weile beisammen und unterhielten uns, obwohl die ganze Zeit über ein angespanntes Gefühl von Misstrauen vorhanden war, das diesen Weihnachtsfrieden ein bisschen ruinierte. Wir konnten nicht anders als uns daran zu erinnern, dass wir Feinde waren, obwohl wir uns die Hände geschüttelt hatten. Wir wagten uns nicht zu nah an ihre Gräben, um nicht zu viel zu sehen; auch durften die Deutschen nicht hinter den Stacheldraht kommen, der vor uns lag. Nachdem wir geplaudert hatten kehrten wir zu unseren Gräben zurück, um zu frühstücken.
Während des ganzen Tages wurde kein Schuss abgegeben. Alles was wir taten war miteinander zu sprechen und uns Geständnisse zu machen, die in diesem seltsamen Moment vielleicht wahrhaftiger waren als während normaler Kriegszeiten. Wie weit dieser inoffizielle Friede entlang den Stellungen ging weiß ich nicht, aber ich weiß, dass das, was ich hier geschrieben habe für die — auf unsere Seite sowie für die aus Westfalen bestehende deutsche 158. Brigade gilt.
Während ich diese kurze und bruchstückhafte Beschreibung eines seltsam menschlichen Geschehens beende, gießen wir Schnellfeuer in die deutschen Gräben und sie beantworten das Kompliment ebenso heftig. Kreischend über uns in der Luft sind die zerschmetternden Granaten der gegnerischen Artilleriebatterien. So sind wir einmal mehr zurück in der Prüfung des Feuers.” (Original auf christmastruce.co.uk)
Weitere Informationen
Weihnachtsfrieden (Wikipedia)
Papst Benedikts XV. Apostolisches Schreiben vom 28. Juli 1915
Augenzeugenberichte britischer Soldaten über den Weihnachtsfrieden 1914 (auf Englisch)