07. April 1915: Wann wir das Glück haben

Man kann nicht begreifen, daß über so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltäglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station – es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas möglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Ströme von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.

Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues (1928)


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelf.
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg

Komines, den 7. April 1915.
Werte Lina! Habe deine werte Karte erhalten, meinen besten Dank. Wie ich sehe war mein Bruder auch bei dir, ich will sehen wann wir das Glück haben, daß wir in die Heimat zurück kehren dürfen. Es grüßt dich herzlich sowie deine E. Georg Probst.
Herzlichen Gruß Mich. Breitschwerdt.


Viele Eltern mussten nicht nur einen Sohn in den Krieg ziehen lassen, sondern oft mehrere Familienmitglieder zu dieser Reise mit ungewissem Ausgang aufbrechen lassen. Die Familie Probst war dabei keine Ausnahme und so wurde Georgs zwei Jahre jüngerer Bruder Leonhard nicht einmal ein Jahr nach Beendigung seines Militärdiensts, während dem er bereits zum Gefreiten befördert wurde, zum Kriegseinsatz einberufen. Er kam zum Königlich Bayerischen 2. Fußartillerie-Regiment und nahm wie sein Bruder an der Schlacht von Lothringen Teil, hatte jedoch weniger Glück und wurde am 06. September 1914 bei Nancy durch Schrapnellkugel am rechten Oberarm verletzt. Nach einem zehntägigen Aufenthalt im Festungslazarett von Metz gelangte er ins Lazarett des Roten Kreuzes nach Wiesbaden. Dort verbrachte er offenbar mehrere Monate, denn erst am 07. Februar 1915 wurde er wieder einer Einheit zugewiesen, bereits im April des selben Jahres aber wegen Feld- und Garnisonsdienstunfähigkeit entlassen. Leonhard trat offenbar erst wieder am 01. November in den aktiven Dienst beim Ersatz Bataillon 3. Fußartillerie Regiment ein. Vermutlich, denn der dritte Bruder war zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt, war er es, der seine spätere Schwägerin Lina im Frühjahr 1915 besucht hat. Seine offenbar nicht ganz einfachen Verwundung, welche die Realität des Krieges bis nach Binzwangen und Oberfelden brachte, trug sicher nicht zur Beruhigung von Familie und Freunden bei.

GeschwisterProbstDie drei Brüder Probst (undatiert), v. l.: Johann Georg (1889-1975), Georg Leonhard (1891-1951) und Leonhard Georg (1901-1973).


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