01. Mai 1915: Wenn nur doch bald Frieden käme

„Über der Lunge verbreitet hört man das feinblasige, kochende Ödemrasseln, die Kranken ringen ächzend und stöhnend nach Luft. In diesem Zustande bietet der Kranke für die Umgebung ein schaudervolles Bild des Jammers. Man sieht förmlich, wie der Kranke in der eigenen Flüssigkeit ertrinkt, die sich in die Lungen ergossen hat. Man hat seit dem Weltkriege manches Wort über die Humanität des Gaskrieges gehört: Wer jemals einen Gaskranken in dem beschriebenen Stadium des Höhepunktes des Lungenödems gesehen hat, der muß, wenn er noch einen Funken von Menschlichkeit besitzt, verstummen.“

Der kommandierende General des 5. Armeekorps, zitiert in Muntschs „Leitfaden der Pathologie und Therapie der Kampfstofferkrankungen“ (Leipzig 1932), zitiert nach Wietzker 2006.


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Feldpostkarte
Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelfranken
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg

Werte Lina!
Habe deinen werten Brief und dein liebes Paketchen erhalten, was mich herzlich gefreut hat. Sonst ist bei dir noch alles gut und wohlauf, was auch bei mir noch der Fall ist. Nochmals meinen besten dank für den vorzüglichen Inhalt, besonders aber freute mich die Cigarrenspitz, es wird mir eine ewige Erinnerung sein. Dein Bruder hat mir auch wieder geschrieben, daß ihm soweit gut geht. Wir haben zur Zeit sehr heiße Witterung, und ich muß furchtbar schwitzen. War mein Bruder nicht erst bei dir? Wenn nur doch bald der schon lang ersehnte Frieden käme. Brief folgt demnächst. Haben z. Z. sehr viel Arbeit. Herzlich grüßt dich sowie deine l. Eltern u. d. Schwager u. Sch. Gg Probst


Nicht nur mit Postkarten und Briefen versuchte Lina mit Georg Kontakt zu halten, sondern sie schickte ihm offenbar auch immer wieder verschiedenste Geschenke. Auf dieser Postkarte bedankt sich Georg Probst für eine Zigarrenspitze, die er neben anderen Dingen mit dem letzten Päckchen erhielt. Dabei handelte es sich nicht etwa um vordersten Teil einer Zigarre, sondern um ein Mundstück, in das man eine Zigarre stecken und sie dadurch rauchen konnte.  So sehr der Soldat sich für dieses Geschenk bedankt: Die Post aus der Heimat, die Kostprobe heimatlichen Wohlstands in Kontrast zum mühevollen Frontleben in Form der Zigarrenspitze sowie die Gedanken an die Famile, führen schließlich zum Ausdruck seiner Friedenssehnsucht. Diese steht jedoch im krassen Kontrast zum tatsächlichen Geschehen an der Westfront.

Während Georg Probst seine Zigarren mit besagter Spitze rauchte, fand nur wenige Kilometer weiter nördlich der Stellung des 11. Feldartillerie-Regiments bei Mesinnes die Zweite Flandernschlacht statt. Dabei wurde am 22. April 1915 von den Deutschen zum ersten Mal Giftgas verwendet: 150 Tonnen Chlorgas wurden nordwestlich von Ypern freigesetzt und krochen auf einer Breite von 7 km auf die alliierten Grabensysteme zu. Allein 3.000 tote und 7.000 verletzte Soldaten waren die Folge dieses Einsatzes und der Gaskrieg, der fortan von beiden Kriegsparteien geführt wurde, war eröffnet. Nach einem Monat und zahllosen Opfern wurde der deutsche Durchbruchsversuch eingestellt und die Schlacht damit beendet. Der Krieg selbst jedoch hatte nach der erstmaligen Verwendung von Massenvernichtungswaffen eine neue Qualität erreicht.



Weitere Informationen

Zweite Flandernschlacht (Wikipedia)
Gaskrieg während des Ersten Weltkriegs (Wikipedia)
Wolfgang Witzker: Giftgas im Ersten Weltkrieg. Was konnte die deutsche Öffentlichkeit wissen? (Dissertation Düsseldorf 2006) [pdf]

27. Dezember 1914: Brief und _____ erhalten

„Die Haltung der Truppen im Felde wird auf das stärkste beeinflußt durch die geistige Verbindung mit der Heimat. Es gibt nicht viele Einwirkungen, die so wohltätig über Gefahren und Mühsale hinweghelfen, die so kräftig die gesunkene Spannkraft zu heben vermögen, als ersehnte Nachrichten von daheim. Die erhöhte Stimmung, die der wechselseitige Verkehr mit der Heimat erzeugt, kommt der Schlagkraft des Heeres zugute.“

Oberste Heeresleitung


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
Post Colmberg b. Lehrberg
Mittelfranken

Ostwarne, 27.12.1914
Habe heute Brief u. …… erhalten was mich sehr gefreut hat. Ich mache meinen besten Dank dafür. Ich bin noch gesund u. munter was ich von dir u. d. Angehörigen auch hoffe. Bei uns hat es die Weihnachten über stark gefroren. Sei tausendmal gegrüßt sowie d. Eltern u. Schwester von d. unvergesslichen G. Probst


Besonders zwei Postkarten, die um den Jahreswechsel 1914/1915 herum von Georg Probst an Lina Neefischer geschrieben wurden, regen die Fantasie an. Im vorliegenden Fall bedankt sich der Soldat für einen erhaltenen Brief, zugleich jedoch für etwas, das er nicht ausschreibt, sondern nur mit Punkten andeutet. Vermutlich handelt es sich um einen Teil des Briefinhalts. Es kann nur spekuliert werden worum es sich dabei handelt: Um etwas, das Soldaten eigentlich verboten war? Oder um etwas so persönliches, dass niemand – Kamerad, Postbote oder Familienmitglied – davon wissen sollte?

Bei Ostawerne handelt es sich um den kleinen Ort Oosttaverne südlich von Ypern und unmittelbar westlich von Wijtschate ganz in der Nähe des Frontverlaufs (Ganz herzlicher Dank für diese Erkenntnis an Juliane Weiß!). Obwohl dieser Ort schon 1914 Schauplatz von Kriegshandlungen war, ist die Oosttaverne-Stellung vor allem im Rahmen der Schlacht von Messines im Jahr 1917 von Bedeutung.

imageDer Frontverlauf bei Ypern während des Winters 1914/1915.*



Weitere Informationen

* Grafik aus: Michelin illustrated Guides to the Battlefields (1914-1918): Ypres and the Battles of Ypres (1919). (Englisch)