27. März 1915: Ostergrüße aus fernem Feindesland

„Der Wille Gottes ist Liebe. Uns umtobt der Haß, aber die Liebe ist doch das Größte unserer Zeit. O herrliche Glut der Liebe. Seid uns gegrüßt und gesegnet ihr alle, die ihr so freudig hinausgezogen seid und das Leben gebt in der großen Treue bis an den Tod, und das Vaterland rettet, — das lohn euch Gott in alle Ewigkeit. Wer doch wie ihr das Leben opfern könnte in den Friedenswerken der Liebe, in dem vollen Leben für andere, für das Vaterland! Was wir ersehnen und doch nur so unvollkommen vollbringen, Jesus hat’s getan. Dieses Leben, das am Kreuz vollendet ist, ist nur Liebe gewesen, nur Geben, nur Dienen, nur Opfern, mit jeder Tat und mit allem Dulden, mit jedem Wort und jedem Gedanken. Und jetzt, da die kalten Wasser das Feuer seiner Liebe auslöschen wollen, jetzt flammt sie in göttlicher Gewalt auf gegenüber allem Undank, aller Untreue, allem Spott, allen Mißhandlungen, allem Haß. In seinem Herzen die Angst für seine Mörder: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das ist das Wunder der Liebe in der Welt der Selbstsucht, des Hasses, des Raubens und Mordens, das ist der Sieg. Er hat’s vollbracht. (…)
Jesu Todesstunde erinnert an unsere Todesstunde. Wann hätte sie es ernster und dringender getan als in diesem Jahre. Herrlich ist es, wenn in der letzten Stunde der Blick auf den Sieg, der Gedanke an Kaiser und Vaterland die Seele aus dem Tod ins Leben hebt, selig, wenn sich der letzte Blick auf den Gekreuzigten von Golgatha richtet, und es wie bei dem sterbenden Sohne Gottes heißt: Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.“

Aus der Kriegspredigt von Pfarrer Friedrich Lahusen, gehalten am Karfreitag 1915 in der Dreichfaltigkeitskirche zu Berlin.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden P. Colmberg
Bahnst Lehrberg
Mittelfranken

27. III. 1915
Werte Lina.
Fröhliche Ostergrüße aus fernem Feindesland sendet Georg Probst.
Habe Karte erhalten, besten Dank. Viele Grüße an d. Eltern u. Schwester.


Die obligatorische Grußkarte zu den Osterfeiertagen fällt im Jahre 1915 denkbar knapp aus, doch betont Georg Probst, dass er dieses Fest nicht in seiner Heimat verbringt. Wahrscheinlich ist es das erste Mal überhaupt, dass er an Ostern nicht in Binzwangen ist und dort den Gottesdienst besucht.

Trotz der Kürze eignet sich die Karte aus dem März 1915 besonders gut, um zu beschrieben, an welchem Ort im „Feindesland“ der Verfasser im Kriegseinsatz war und von wo aus er die Feldpostkarten nach Oberfelden schickte. Nachdem er während des Winters östlich von Wijtschate in der Nähe von Oosttaverne im Feld gelegen war oder in Comines Quartier bezogen hatte, wurde das 11. Feldartillerie-Regiment Anfang März in den Süden verlegt. Es befand sich nun östlich von Messines. Während alle anderen Batterien laut Karte nach Westen ausgerichtet waren, zielte die 3. Batterie von Georg Probst nach Süden in Richtung des Ploegsteerter Waldes, einer Anfang 1915 stark umkämpften Gegend.

Da anders als während der ersten Kriegsmonate, in denen jede Karte mit einer Ortsangabe versehen war, im Verlauf des Jahres 1915 diese Informationen auf den Postkarten vollständig verschwinden und bis zum Kriegsende auch nicht mehr erscheinen, sind die militärischen Stellungen der einzige Hinweis auf den Ursprung der Feldpost. So können Karten ohne genauere Angaben bis Ende Oktober mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Gegend zwischen Messines und Gapaard verortet werden.

März1915StellungenscaledStellungen der Batterien des 11. Feldartiellerie-Regiments südlich von Ypern (nach von Waldenfels 1931*). Georg Probst gehörte zur III. Batterie.

Diese genaue Verortung der III. Batterie erlauben die Ausführungen von Waldenfels‘ (1931, S. 82):

„Eine neue Verschiebung nach Süden ergab sich durch das Herausziehen der 6. b. Res. Div. am 4. März 1915 und die dadurch notwendig werdende Verbreiterung des Divisions-Abschnittes. […]
Es wurden von den Batterien des Regiments folgende Stellungen bezogen: 1. Battr. westl Gapaard, diese Batterie hatte außerdem die beiden belgischen Geschütze im Abschnitt des Res. Inf. Regts. 5 nahe der Hospitzmühle zu besetzen. 2. Battr. in Gapaard. 3. Battr. am Blauwen Molen Hügel, dazu kam noch die Besetzung des belgischen Geschützes bei Spanbroek Molen und des Ruisseau Ferme Zuges im Douve-Grund. 4. Battr. etwa 900 m östl. Ferme Verrat. 5. Battr. in Gapaard. 6. Battr. etwa 300 m südw. Ferme Deconick.“

Natürlich wurde in diesem Krieg keine Rücksicht auf sakrale Gebäude genommen, auch nicht an hohen Feiertagen wie Ostern. Davon gibt der nächste Absatz Zeugnis:

„Besonderer Wert war in dem unübersichtlichen Gelände auf die Auswahl der Beobachtungsstellen zu legen. 1., 5. und 6. Battr. richteten diese auf dem „Pilz“, einem Turm der südl. Häuserfront des Klosters Messines ein, 2. Battr. in einem Haus an der Straße Messines-Wytschaete (Heughebaert Fe.). Die Beobachter der 3. Battr. zogen in die sogen. „Villa Brenzlich“ am Straßenkreuz 200 m südwestl. des Blauwen Molen Hügels, da von hier aus günstige Beobachtungsmöglichkeit gegen den Ploegsteert Wald war. Die Beobachtung der 4. Battr. ging in das „Weiße Haus“ am Westrand von Messines, ein vorgeschobener Beobachter nach Moulin de l’Hospice, später „Haubitzmühle“ genannt. Alle Batterien erhielten nun meist bestimmte Namen nach ihrem Aufstellungsplatze, die sich rasch einbürgerten. Mit Ausnahme geringfügiger Veränderungen blieben die Batterien in diesen Stellungen bis zur Ablösung der Division im Oktober 1915.“

Von der Situation im Kloster von Messines im Januar 1915 erzählt uns der Arzt Dr. Georg Cohn in seinem lesenswerten Tagebuch**:

„Die Artillerie feuert Tag für Tag. Das Kloster bleibt hartnäckiges Zielobjekt. Man kann bald gar nicht mehr frische Luft schöpfen. Es ist schon eine Heldentat, im Kloster spazieren zu gehen. Man trifft keine Seele am Tag zwischen den Trümmern. Und nachts kann man sich in den Löchern, zwischen den Drähten, Balken und Steinen mühelos Hals und Bein brechen. Das ist aber keine passende Form für den Heldentod.“

Schließlich geben Bilder des unversehrten Klosters und Aufnahmen des bayerischen Architekten Joseph Elsner junior*** aus dem März und April 1915 einen Eindruck von der Zerstörungskraft der Artillerie an der Westfront (zum vergrößern klicken):

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Weitere Informationen

* Otto von Waldenfels: Das K. B. 11. Feldartillerie-Regiment. (= Erinnerungsblätter deutscher Regimenter. Bayerische Armee. Bd. 72). Schick. München 1931.

** Georg S. Cohn: Müßig zu fragen, worum der Krieg geht. Das Kriegstagebuch 1914-1918 des Dr. Georg Sally Cohn. (Herausgegeben von Günter Jul Müller). Europeana. München 2001. [Download]

Georg Sally Cohn
Georg Sally Cohn

*** Von Melsner.de. Informationen zu Joseph Elsner junior gibt es bei Wikipedia.

06. Februar 1915: Ich stand 2 m vor ihm

An meine Bayern!

Deutschland hat den Kampf nach zwei Fronten aufgenommen. Der Druck der Ungewißheit ist von uns gewichen, das deutsche Volk weiß, wer seine Gegner sind. In ruhigem Ernst, erfüllt von Gottvertrauen und Zuversicht, scharen unsere wehrhaften Männer sich um die Fahnen. Es ist kein Haus, das nicht teil hätte an diesem uns frevelhaft aufgedrungenen Krieg.
Bewegten Herzens sehen wir unsere Tapferen ins Feld ziehen. Der Kampf, der unser Heer erwartet, geht um die heiligsten Güter, um unsere Ehre und Existenz. Gott hat das deutsche Volk in vier Jahrzehnten rastloser Arbeit groß und stark gemacht, er hat unser Friedenswerk sichtbar gesegnet. Er wird mit unserer Sache sein, die gut und gerecht ist.Wie unsere tapferen Soldaten draußen vor dem Feind, so stelle auch zu Hause jeder seinen Mann. Wollen wir, jeder nach seiner Kraft, im eigenen Land Helfer sein für die, die hinausgezogen sind, um mit starker Hand den Herd der Väter zu verteidigen. Tu jeder freudig die Pflicht, die sein vaterländisches Empfinden ihn übernehmen heißt. Unsere Frauen und Töchter sind dem Lande mit tatkräftigem Beispiele vorangegangen.
Bayern! Es gilt das Reich zu schützen, das wir in blutigen Kämpfen mit erstritten haben. Wir kennen unsere Soldaten und wissen, was wir von ihrem Mut, ihrer Manneszucht und Opferwilligkeit zu erwarten haben. Gott segne unser tapferes deutsches Heer, unsere machtvolle Flotte und unsere treuen österreichisch-ungarischen Waffenbrüder! Er schütze den Kaiser, unser großes deutsches Vaterland, unser geliebtes Bayern!

München, den 4. August 1914

Ludwig.

 


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter
Oberfelden
P. Colmberg. Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

 

Komines, 6.2.1915
Werte Lina!
Habe deine werte Karte erhalten, was mich sehr gefreut hat. Ich bin noch immer gesund, was ich auch von dir und l. Eltern noch hoffe. Gestern war bei uns der König, ich stand 2 m vor ihm. Sei herzlich gegrüßt sowie deine l. Eltern auf ein baldiges […] G. Probst.

 


Obwohl der Oberbefehl über alle Truppen beim deutschen Kaiser lag, gehörte Georg Probst der traditionsreichen bayerischen Armee an, die sich im Deutschen Reich eine gewisse Eigenständigkeit bewahren konnte. Ludwig III. (1845 – 1921) war seit 1913 nicht nur König von Bayern, sondern in dieser Funktion auch Generalfeldmarschall der bayerischen Armee. Sein Sohn Kronprinz Rupprecht war als Oberbefehlshaber der 6. Armee sogar aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt.

Ludwig III of Bavaria visiting troops, Comines, FranceLudwig III beim Besuch in Comines, 1915 (© Mary Evans Picture Library*).

Nur schwer lässt sich die Gefühlslage des Binzwangers aus dem kurzen aber prägnanten Satz herauslesen, in dem er vom Besuch des Königs spricht. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er aufgeregt und begeistert schreibt nachdem er seinem König ganz nah gekommen ist. (Ob ein Mitarbeiter der Feldpost sich noch ganz von Begeisterung eingenommen reghaft mit seinem Kameraden über den königlichen Besuch unterhielt und daher versehentlich die letzte Zeile der Postkarte abschnitt, muss ebenfalls offen bleiben.)

Ein anderer Augenzeuge des Königsbesuchs berichtet in seinem Tagebuch** in leicht spöttischem Ton von dem Ereignis:

5. Februar 1915

König Ludwig besucht die 6. B.R.C. Von uns defiliert das gerade in Ruhe befindliche I. Batl. mit vorbei. Ich habe dienstliche Order für die Parade: Unfallstation. Also werde ich mir die allerhöchste Stufenleiter aus allernächster Nähe ansehen.

*

Fußmarsch nach Warwick [Hierbei handelt es sich um den belgischen bzw. französischen Ort Wervik bzw. Wervicq unmittelbar östlich von Comines.]. Treffpunkt Straßenkreuzung Warwick-Martiere. Major Arnold befindet sich in gottgewollter Aufregung. Der Tag – ein blauer Wintertag, lind wie unser Frühling. Man hat die Truppen ein bisschen gedrillt. Aber nicht zuviel. Die bayerischen Haxen sind auch nicht für den preußischen Parademarsch gedrechselt. Bei einer Kompanie gab es gestern noch eine schwierige Toilettenfrage. Ein nicht ganz kleiner Teil der Leute trug kniekurze Mäntel, Schützengraben-Facon. Bei den anderen waren die Mäntel noch in natürlicher Länge vorhanden. Die Frage sollte mit Hilfe der Schere radikal gelöst werden. Das Bataillon verweigerte aber die Genehmigung. Die Kammer wurde geplündert und die Kompanie maskierte sich mit gepumpten Stücken. Die Parade findet in Marschkolonne auf der breiten Straße statt. Die Straße bilden hier ein großes Hufeisen. So weit man sieht, ist sie eingefasst von Truppen, die hier geordnet werden. Ein englischer Flieger hat Wind bekommen und will zusehen.

Die Abwehrgeschütze tosen, die MG rattern unaufhörich. Sie schießen gut, eine Zeitlang kommt er nicht aus ihrer doppelten Geschossstraße heraus. Schließlich hat er wohl genug gesehen und zieht ab. Die Spannung wächst. Ich stehe auf einer Bodenwelle, gegenüber auf der anderen Straßenseite ist ein Bretterboden für die allerhöchsten Herrschaften. Plötzlich von fern her ein Ruf, am anderen Straßenende kommt Ruhe in die Masse, ein Blitzen präsentierter Bajonette und die Musik spielt, die Kapellen spielen ineinander fallend. Nun ist der alte Herr heran. Der alte Herr geht zu Fuß die ganze Linie ab. Ruckweise klingt es herüber, dreimal Hurrah, ruckweise pflanzt es sich fort, das Hurrah, das Zucken der Bajonette.

Dann marschieren die Truppen vorbei. Sie ziehen frisch drauflos, parademäßig schauen sie nicht aus. Zwei Kompanien haben noch Grabenschmutz auf den Mänteln und Stiefeln (sie haben erst nachts vorher abgelöst). Aber der alte Herr lächelt sie sehr zufrieden an, und er tut sehr recht daran. Wenn die Geschichte vom König und seinem Volk einen Sinn hat, dann hier. Man braucht nicht mit dem Paradeflunkern nachzuhelfen.

 



Weitere Informationen

Ludwig III. (Wikipedia)

* Der beste Dank gilt an dieser Stelle der Mary Evans Picture Library, die mir das so gut zur Postkarte passende Bild unentgeltlich zu Verfügung gestellt hat. Viele weitere historische Bilder sind hier zu finden: www.maryevans.com

** Leider ist weder der Autor noch das gesamte Tagebuch zu recherchieren. Lediglich ein Teil seiner Aufzeichnungen lässt sich online nachlesen. [Ergänzung vom 28. Juni 2014: Bei dem Autor des Tagebuchs handelt es sich um den 31 Jahre alten jüdischen Assistenzarzt Georg Sally Cohn aus Königsberg. Das vollständige Tagebuch ist hier zu finden.]

02. Februar 1915: Ziemlich kalt

Bekanntmachung

1. Die Gewässer rings Großbritanniens und Irlands einschließlich des gesamten englischen Kanals werden hiermit als Kriegsgebiet erklärt. Vom 18. Februar 1915 an wird jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden, ohne daß es immer möglich sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden.

2. Auch neutrale Schiffe laufen in dem Kriegsgebiet Gefahr, da es angesichts des von der britischen Regierung am 31. Januar angeordneten Mißbrauchs neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Seekrieges nicht immer vermieden werden kann, daß die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe auch neutrale Schiffe treffen.

3. Die Schiffahrt nördlich um die Shetlands-Inseln, in dem östlichen Gebiet der Nordsee, in einem Streifen von mindestens 30 Seemeilen Breite entlang der niederländischen Küste ist nicht gefährdet.

Berlin, 4. Februar 1915.

Der Chef des Admiralstabs
gez. v. Pohl


Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter Oberfelden
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

Komines, den 2. Februar 1915
Werte Lina.
Habe heute deinen werten Brief dankend erhalten. Ich bin noch immer gesund, was ich auch von Dir und l. Eltern und deiner Schwester noch hoffe. Wie ich aus deinem neusten Brief sehe, müssen wieder viele einrücken. Bei uns ist es zieml. kalt und schneit auch mal. Sei herzlich gegrüßt sowie deine lieben Eltern u. Schwester von deinem G. Probst.


Abermals aus Comines schreibt Georg Probst während des Winters im Februar 1915 nach Oberfelden. Während an der Front zu diesem Zeitpunkt keine größeren Gefechte geschlagen werden, bekommt die Bevölkerung zuhause die großen Verlusten der ersten Kriegsmonate auf verhängnisvolle Art und Weise zu spüren. So berichtet Lina offenbar in einem Brief, dass immer mehr Männer zum Kriegseinsatz eingezogen werden.