07. April 1915: Wann wir das Glück haben

Man kann nicht begreifen, daß über so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltäglichen Fortgang nimmt. Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, nur eine einzige Station – es gibt Hunderttausende in Deutschland, Hunderttausende in Frankreich, Hunderttausende in Rußland. Wie sinnlos ist alles, was je geschrieben, getan, gedacht wurde, wenn so etwas möglich ist! Es muß alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, daß diese Ströme von Blut vergossen wurden, daß diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.

Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues (1928)


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Mittelf.
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg

Komines, den 7. April 1915.
Werte Lina! Habe deine werte Karte erhalten, meinen besten Dank. Wie ich sehe war mein Bruder auch bei dir, ich will sehen wann wir das Glück haben, daß wir in die Heimat zurück kehren dürfen. Es grüßt dich herzlich sowie deine E. Georg Probst.
Herzlichen Gruß Mich. Breitschwerdt.


Viele Eltern mussten nicht nur einen Sohn in den Krieg ziehen lassen, sondern oft mehrere Familienmitglieder zu dieser Reise mit ungewissem Ausgang aufbrechen lassen. Die Familie Probst war dabei keine Ausnahme und so wurde Georgs zwei Jahre jüngerer Bruder Leonhard nicht einmal ein Jahr nach Beendigung seines Militärdiensts, während dem er bereits zum Gefreiten befördert wurde, zum Kriegseinsatz einberufen. Er kam zum Königlich Bayerischen 2. Fußartillerie-Regiment und nahm wie sein Bruder an der Schlacht von Lothringen Teil, hatte jedoch weniger Glück und wurde am 06. September 1914 bei Nancy durch Schrapnellkugel am rechten Oberarm verletzt. Nach einem zehntägigen Aufenthalt im Festungslazarett von Metz gelangte er ins Lazarett des Roten Kreuzes nach Wiesbaden. Dort verbrachte er offenbar mehrere Monate, denn erst am 07. Februar 1915 wurde er wieder einer Einheit zugewiesen, bereits im April des selben Jahres aber wegen Feld- und Garnisonsdienstunfähigkeit entlassen. Leonhard trat offenbar erst wieder am 01. November in den aktiven Dienst beim Ersatz Bataillon 3. Fußartillerie Regiment ein. Vermutlich, denn der dritte Bruder war zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt, war er es, der seine spätere Schwägerin Lina im Frühjahr 1915 besucht hat. Seine offenbar nicht ganz einfachen Verwundung, welche die Realität des Krieges bis nach Binzwangen und Oberfelden brachte, trug sicher nicht zur Beruhigung von Familie und Freunden bei.

GeschwisterProbstDie drei Brüder Probst (undatiert), v. l.: Johann Georg (1889-1975), Georg Leonhard (1891-1951) und Leonhard Georg (1901-1973).


06. Februar 1915: Ich stand 2 m vor ihm

An meine Bayern!

Deutschland hat den Kampf nach zwei Fronten aufgenommen. Der Druck der Ungewißheit ist von uns gewichen, das deutsche Volk weiß, wer seine Gegner sind. In ruhigem Ernst, erfüllt von Gottvertrauen und Zuversicht, scharen unsere wehrhaften Männer sich um die Fahnen. Es ist kein Haus, das nicht teil hätte an diesem uns frevelhaft aufgedrungenen Krieg.
Bewegten Herzens sehen wir unsere Tapferen ins Feld ziehen. Der Kampf, der unser Heer erwartet, geht um die heiligsten Güter, um unsere Ehre und Existenz. Gott hat das deutsche Volk in vier Jahrzehnten rastloser Arbeit groß und stark gemacht, er hat unser Friedenswerk sichtbar gesegnet. Er wird mit unserer Sache sein, die gut und gerecht ist.Wie unsere tapferen Soldaten draußen vor dem Feind, so stelle auch zu Hause jeder seinen Mann. Wollen wir, jeder nach seiner Kraft, im eigenen Land Helfer sein für die, die hinausgezogen sind, um mit starker Hand den Herd der Väter zu verteidigen. Tu jeder freudig die Pflicht, die sein vaterländisches Empfinden ihn übernehmen heißt. Unsere Frauen und Töchter sind dem Lande mit tatkräftigem Beispiele vorangegangen.
Bayern! Es gilt das Reich zu schützen, das wir in blutigen Kämpfen mit erstritten haben. Wir kennen unsere Soldaten und wissen, was wir von ihrem Mut, ihrer Manneszucht und Opferwilligkeit zu erwarten haben. Gott segne unser tapferes deutsches Heer, unsere machtvolle Flotte und unsere treuen österreichisch-ungarischen Waffenbrüder! Er schütze den Kaiser, unser großes deutsches Vaterland, unser geliebtes Bayern!

München, den 4. August 1914

Ludwig.

 


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter
Oberfelden
P. Colmberg. Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

 

Komines, 6.2.1915
Werte Lina!
Habe deine werte Karte erhalten, was mich sehr gefreut hat. Ich bin noch immer gesund, was ich auch von dir und l. Eltern noch hoffe. Gestern war bei uns der König, ich stand 2 m vor ihm. Sei herzlich gegrüßt sowie deine l. Eltern auf ein baldiges […] G. Probst.

 


Obwohl der Oberbefehl über alle Truppen beim deutschen Kaiser lag, gehörte Georg Probst der traditionsreichen bayerischen Armee an, die sich im Deutschen Reich eine gewisse Eigenständigkeit bewahren konnte. Ludwig III. (1845 – 1921) war seit 1913 nicht nur König von Bayern, sondern in dieser Funktion auch Generalfeldmarschall der bayerischen Armee. Sein Sohn Kronprinz Rupprecht war als Oberbefehlshaber der 6. Armee sogar aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt.

Ludwig III of Bavaria visiting troops, Comines, FranceLudwig III beim Besuch in Comines, 1915 (© Mary Evans Picture Library*).

Nur schwer lässt sich die Gefühlslage des Binzwangers aus dem kurzen aber prägnanten Satz herauslesen, in dem er vom Besuch des Königs spricht. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er aufgeregt und begeistert schreibt nachdem er seinem König ganz nah gekommen ist. (Ob ein Mitarbeiter der Feldpost sich noch ganz von Begeisterung eingenommen reghaft mit seinem Kameraden über den königlichen Besuch unterhielt und daher versehentlich die letzte Zeile der Postkarte abschnitt, muss ebenfalls offen bleiben.)

Ein anderer Augenzeuge des Königsbesuchs berichtet in seinem Tagebuch** in leicht spöttischem Ton von dem Ereignis:

5. Februar 1915

König Ludwig besucht die 6. B.R.C. Von uns defiliert das gerade in Ruhe befindliche I. Batl. mit vorbei. Ich habe dienstliche Order für die Parade: Unfallstation. Also werde ich mir die allerhöchste Stufenleiter aus allernächster Nähe ansehen.

*

Fußmarsch nach Warwick [Hierbei handelt es sich um den belgischen bzw. französischen Ort Wervik bzw. Wervicq unmittelbar östlich von Comines.]. Treffpunkt Straßenkreuzung Warwick-Martiere. Major Arnold befindet sich in gottgewollter Aufregung. Der Tag – ein blauer Wintertag, lind wie unser Frühling. Man hat die Truppen ein bisschen gedrillt. Aber nicht zuviel. Die bayerischen Haxen sind auch nicht für den preußischen Parademarsch gedrechselt. Bei einer Kompanie gab es gestern noch eine schwierige Toilettenfrage. Ein nicht ganz kleiner Teil der Leute trug kniekurze Mäntel, Schützengraben-Facon. Bei den anderen waren die Mäntel noch in natürlicher Länge vorhanden. Die Frage sollte mit Hilfe der Schere radikal gelöst werden. Das Bataillon verweigerte aber die Genehmigung. Die Kammer wurde geplündert und die Kompanie maskierte sich mit gepumpten Stücken. Die Parade findet in Marschkolonne auf der breiten Straße statt. Die Straße bilden hier ein großes Hufeisen. So weit man sieht, ist sie eingefasst von Truppen, die hier geordnet werden. Ein englischer Flieger hat Wind bekommen und will zusehen.

Die Abwehrgeschütze tosen, die MG rattern unaufhörich. Sie schießen gut, eine Zeitlang kommt er nicht aus ihrer doppelten Geschossstraße heraus. Schließlich hat er wohl genug gesehen und zieht ab. Die Spannung wächst. Ich stehe auf einer Bodenwelle, gegenüber auf der anderen Straßenseite ist ein Bretterboden für die allerhöchsten Herrschaften. Plötzlich von fern her ein Ruf, am anderen Straßenende kommt Ruhe in die Masse, ein Blitzen präsentierter Bajonette und die Musik spielt, die Kapellen spielen ineinander fallend. Nun ist der alte Herr heran. Der alte Herr geht zu Fuß die ganze Linie ab. Ruckweise klingt es herüber, dreimal Hurrah, ruckweise pflanzt es sich fort, das Hurrah, das Zucken der Bajonette.

Dann marschieren die Truppen vorbei. Sie ziehen frisch drauflos, parademäßig schauen sie nicht aus. Zwei Kompanien haben noch Grabenschmutz auf den Mänteln und Stiefeln (sie haben erst nachts vorher abgelöst). Aber der alte Herr lächelt sie sehr zufrieden an, und er tut sehr recht daran. Wenn die Geschichte vom König und seinem Volk einen Sinn hat, dann hier. Man braucht nicht mit dem Paradeflunkern nachzuhelfen.

 



Weitere Informationen

Ludwig III. (Wikipedia)

* Der beste Dank gilt an dieser Stelle der Mary Evans Picture Library, die mir das so gut zur Postkarte passende Bild unentgeltlich zu Verfügung gestellt hat. Viele weitere historische Bilder sind hier zu finden: www.maryevans.com

** Leider ist weder der Autor noch das gesamte Tagebuch zu recherchieren. Lediglich ein Teil seiner Aufzeichnungen lässt sich online nachlesen. [Ergänzung vom 28. Juni 2014: Bei dem Autor des Tagebuchs handelt es sich um den 31 Jahre alten jüdischen Assistenzarzt Georg Sally Cohn aus Königsberg. Das vollständige Tagebuch ist hier zu finden.]

02. Februar 1915: Ziemlich kalt

Bekanntmachung

1. Die Gewässer rings Großbritanniens und Irlands einschließlich des gesamten englischen Kanals werden hiermit als Kriegsgebiet erklärt. Vom 18. Februar 1915 an wird jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden, ohne daß es immer möglich sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden.

2. Auch neutrale Schiffe laufen in dem Kriegsgebiet Gefahr, da es angesichts des von der britischen Regierung am 31. Januar angeordneten Mißbrauchs neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Seekrieges nicht immer vermieden werden kann, daß die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe auch neutrale Schiffe treffen.

3. Die Schiffahrt nördlich um die Shetlands-Inseln, in dem östlichen Gebiet der Nordsee, in einem Streifen von mindestens 30 Seemeilen Breite entlang der niederländischen Küste ist nicht gefährdet.

Berlin, 4. Februar 1915.

Der Chef des Admiralstabs
gez. v. Pohl


Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter Oberfelden
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

Komines, den 2. Februar 1915
Werte Lina.
Habe heute deinen werten Brief dankend erhalten. Ich bin noch immer gesund, was ich auch von Dir und l. Eltern und deiner Schwester noch hoffe. Wie ich aus deinem neusten Brief sehe, müssen wieder viele einrücken. Bei uns ist es zieml. kalt und schneit auch mal. Sei herzlich gegrüßt sowie deine lieben Eltern u. Schwester von deinem G. Probst.


Abermals aus Comines schreibt Georg Probst während des Winters im Februar 1915 nach Oberfelden. Während an der Front zu diesem Zeitpunkt keine größeren Gefechte geschlagen werden, bekommt die Bevölkerung zuhause die großen Verlusten der ersten Kriegsmonate auf verhängnisvolle Art und Weise zu spüren. So berichtet Lina offenbar in einem Brief, dass immer mehr Männer zum Kriegseinsatz eingezogen werden.


25. Januar 1915: Dass Dein Wunsch recht bald in Erfüllung geht

„Die in ihren Anfängen viel geschmähte Feldpost leistet täglich Wunderdinge; am 16. Januar 1915, an welchem Tage eine Zählung vorgenommen wurde, sind aus dem Deutschen Reich 7 989 940 Feldpostsendungen nach dem Felde abgegangen, nämlich 4 304 770 portofreie, also meist bis 50 Gramm schwere Briefe und Postkarten, und 3 685 170 schwerere frankierte Feldpostbriefe und Feldpostpäckchen.“

Arnold Steinmann-Bucher, Deutschlands Volksvermögen im Krieg (1916).


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden Post Colmberg
Bahnst. Lehrberg Mittelfrnk.

Komines, 25.1.1915
Werte Lina!
Habe deine neuste Karte u. Brief erhalten. Ich mache dafür meinen besten Dank u. wünsche, daß dein Wunsch recht bald in Erfüllung geht, worauf ich mich selbst sehne. Sonst geht es mir noch gut, was bei dir u. deinen l. Eltern auch noch der Fall ist wie ich sehe. Anbei übersende ich dir eine Ansicht von meinem Winteraufenthalt. Brief folgt. Sei recht herzlich gegrüßt sowie d. l. Eltern von deinem unvergesslichen G. Probst.


Anfang 1915 befindet sich die Division von Georg Probst weiter im Stellungskrieg südlich von Ypern: „Die Gefechtstätigkeit war in den ersten Wochen des neuen Jahres meist gering. Schnee, Regen und vor allem der dichte Nebel verhinderten Freund und Feind, sich lebhafter zu bekämpfen. (…) Lästig wurden vor allem die sich mehr und mehr verstärkenden feindlichen Flieger, die besonders in den Nachmittagsstunden bei guter Sicht ganze Batterien lahmlegten. Zur Fliegerabwehr behelfsmäßig auf Pivots montierte Feldgeschütze waren viel zu unbeweglich, als daß sich irgendwelche namhafte Erfolge hätten erzielen lassen.“*

Offenbar befand sich Georg Probst jedoch nicht die ganze Zeit über an den Artilleriestellungen, denn diese Postkarte stammt wie jene vom 20. Dezember des Vorjahres aus der hinter der Front gelegenen Stadt Comines, seinem „Winteraufenthalt“. Der Wunsch von Lina Neefischer ist leider nicht überliefert, angesichts des länger als erwartet dauernden Krieges, der sich nun auch im neuen Jahr weiter fortsetzt, handelt es sich dabei möglicherweise um den Wunsch nach baldigem Frieden und Rückkehr der Soldaten.

Sämtliche Briefe, die sich Georg und Lina offenbar parallel zu den Postkarten geschrieben zu haben scheinen, sind leider nicht mehr vorhanden. Weniger im Platz beschränkt als auf einer Karte und mit der vermeintlich größeren Privatsphäre eines verschlossenen Umschlags enthielten diese Briefe vermutlich detailliertere Berichte über die Kriegserlebnisse oder die Geschehnisse in der Heimat.



Weitere Informationen

* aus: Otto von Waldenfels: Das K. B. 11. Feldartillerie-Regiment. (= Erinnerungsblätter deutscher Regimenter. Bayerische Armee. Bd. 72). Schick. München 1931.

20. Dezember 1914: Eine froehliche Weihnachten

„Im heiligen Namen Gottes, unseres himmlischen Vaters und Herrn, um des gesegneten Blutes Jesu willen, welches der Preis der menschlichen Erlösung gewesen, beschwören Wir Euch, die Ihr von der göttlichen Vorsehung zur Regierung der kriegsführenden Nationen bestellt seid, diesem fürchterlichen Morden, das nunmehr seit einem Jahr Europa entehrt, endlich ein Ziel zu setzen. Es ist Bruderblut, das zu Lande und zur See vergossen wird. Die schönsten Gegenden Europas, dieses Gartens der Welt, sind mit Leichen und Ruinen besät. Ihr tragt vor Gott und den Menschen die entsetzliche Verantwortung für Frieden und Krieg. Höret auf Unsere Bitte, auf die väterliche Stimme des Vikars des ewigen und höchsten Richters, dem Ihr werdet Rechenschaft ablegen müssen. Die Fülle der Reichtümer, mit denen Gott der Schöpfer die Euch unterstellten Länder ausgestattet hat, erlauben Euch gewiss die Fortsetzung des Kampfes. Aber um was für einen Preis? Darauf mögen die Tausende junger Menschenleben antworten, die alltäglich auf den Schlachtfeldern erlöschen.“

Aus Papst Benedikts XV. Exhortatio Allorché fummo chiamati (28. Juli 1915)


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzertochter
Oberfelden
Bahnst. Lehrberg Post Colmberg
Mittelfranken

Komines, 20.Dez.1914.
Werte Lina!
Ich bin noch gesund und munter, was ich auch von dir und deinen lieben Eltern noch hoffe. Ich wünsche dir und deinen l. Eltern eine fröhliche Weihnachten u. ein glückliches neues Jahr. Sei bestens gegrüßt von Gg. Probst.


Dieses ist die erste von mehreren Karten, die Georg Probst im Winter 1914/1915 aus der französischen Grenzstadt Comines nach Oberfelden schickt. In einer der nächsten Postkarten nennt er die 7 km von der Front entfernt liegende Stadt seinen „Winteraufenthalt“.

Weihnachten 1914 ist besonders wegen des Weihnachtsfriedens an Teilen der Westfront bekannt. Dabei handelt es sich um spontan unter den Soldaten in den Schützengräben ausgehandelte Waffenstillstände am 23. und 24. Dezember, denen u.a. das gemeinsame Singen von Liedern, das Austauschen von kleinen Geschenken oder das oft zitierte Fußballspiel zwischen Briten und Deutschen folgten.

Natürlich erfolgte diese eindrucksvolle Verständigung nicht überall an der Westfront und es muss davon ausgegangen werden, dass Georg Probst selbst nicht daran teilgenommen hat. Auch wiederholte sich der Weihnachtsfriede in den kommenden Jahren nicht, da die Befehlshaber solche Handlungen nun streng bestraften und die Totalisierung des Krieges weiter fortgeschritten war.

Weihnachtsfrieden IWM HU 35801Soldaten des 10. Königlich Sächsischen Infanterie-Regiments Nr. 134 und des britischen Royal Warwickshire Füsilierregiments während des Weihnachtsfriedens 1914. (Foto: Imperial War Museum)

Der britische Soldat Private Frederick W. Heath beschreibt die Ereignisse so:
„Die Nacht brach früh herein – die geisterhaften Schatten, welche die Gräben heimsuchen, kamen uns Gesellschaft zu leisten während wir an den Waffen standen. Unter einem bleichen Mond konnte man gerade noch die gräbergleiche Erhebung des Bodens erkennen, der die deutschen Gräben in 200 Yard Entfernung kennzeichnete. Das Feuer der englischen Stellung war erstorben und nur das Matschen der aufgeweichten Stiefel im schmierigen Schlamm, die geflüsterten Befehle der Offiziere und Unteroffiziere und das Ächzen des Windes durchbrach die Stille der Nacht. Der Weihnachtsabend der Soldaten war schließlich gekommen und es war weder die Zeit noch der Ort, um dankbar dafür zu sein.
Die heilige Erinnerung hielt uns in trauriger Stille. Zuhause, irgendwo in England, brannten die Feuer in wohligen Räumen und im Gedanken hörte ich das Lachen und die tausend Wiedersehensmelodien am Weihnachtsabend. Der Mantel dick mit nassem Schlamm und mit durch den Frost aufgerissenen und wunden Händen lehnte ich an der Wand des Grabens und blickte durch meine Schießscharte mit müden Augen zu den deutschen Gräben. Gedanken drängten sich in meinem Geist, aber sie hatten keinen Zusammenhang, keinen Halt. Die meisten waren von Zuhause wie ich es aus den Jahren kannte, die mich hier her gebracht haben. Ich fragte mich warum ich überhaupt so miserabel hier in den Gräben war, wo ich doch auch warm und glücklich in England hätte sein können. Diese unfreiwillige Frage war schnell beantwortet. Gibt es nicht eine Vielzahl von Häusern in England und musste sie nicht jemand instand halten? Ich dachte an ein zerstörtes Landhaus in — und war froh, dass ich in den Gräben war. Dieses Landhaus war einst das Zuhause von jemandem.
Noch immer blickend und träumend erspähten meine Augen ein Flackern in der Dunkelheit. Zu dieser Stunde war ein Licht in den feindlichen Gräben so selten, dass ich eine Nachricht davon durch unsere Stellung schickte. Ich hatte kaum ausgesprochen als entlang der deutschen Front Licht um Licht anging. Sehr nah an unseren Unterständen – so nah, dass ich hochfuhr und mein Gewehr packte – hörte ich eine Stimme. Man konnte sich bei dieser Stimme mit ihrem kehligen Ton nicht irren. Mit aufgestellten Ohren lauschte ich. Und dann drang zu unserer Stellung aus Gräben ein Gruß, den man im Krieg nur einmal hört: „Englischer Soldat! Englischer Soldat! Ein frohes Weihnachten! Ein frohes Weihnachten!“
Nach diesem Gruß folgten lebhafte Einladungen dieser rauen Stimmen: „Komm heraus, englischer Soldat! Komm heraus zu uns!“ Eine kurze Zeit waren wir vorsichtig und antworteten überhaupt nicht. Die Offiziere vermuteten eine List und befahlen den Männer still zu sein. Doch entlang unserer Stellung hörte man Männer den Weihnachtsgruß des Feindes beantworten. Wie konnten wir widerstehen, uns gegenseitig Frohe Weihnachten zu wünschen, auch wenn wir uns unmittelbar danach an die Kehle gehen würden? Also führten wir ein anhaltendes Gespräch mit den Deutschen, währenddessen wir unsere Hände einsatzbereit an den Gewehren hatten. Blut und Frieden, Feindschaft und Brüderlichkeit – das erstaunlichste Paradox des Krieges. Es begann zu dämmern – die Nacht war leichter gemacht worden durch Lieder aus den deutschen Gräben und das Pfeifen der Piccoloflöten sowie durch das Gelächter und die Weihnachtslieder in unserer Stellung. Kein einziger Schuss wurde abgegeben, lediglich zu unserer Rechten war die französische Artillerie am Werk.
Die Morgendämmerung kam und malte den Himmel in grau und rosa. Im ersten Licht sahen wir wie sich unsere Gegner unbekümmert außerhalb ihrer Gräben bewegten. Das war in der Tat mutig. Sie suchten nicht die Sicherheit ihrer Unterstände, sondern boten uns eine dreiste Einladung, auf sie zu schießen und sie mit tödlicher Sicherheit umzubringen. Aber haben wir geschossen? Natürlich nicht! Wir standen ebenfalls auf und riefen Segensgrüße zu den Deutschen. Darauf folgte die Einladung, aus unseren Gräben zu kommen und uns auf halbem Wege zu treffen.
Noch immer vorsichtig zögerten wir. Nicht so die anderen. Sie rannten in kleinen Gruppen vorwärts, ihre Hände über ihren Köpfen, und sagten, wir sollten das selbe tun. Einem solchen Aufruf konnte man nicht lange widerstehen – zudem, beschränkte sich der Mut bislang nicht auf eine einzige Seite? Einige von uns prangen auf die Brustwehr und begannen die ankommenden Deutschen zu begrüßen. Unsere Hände streckten sich aus und schlossen sich im Griff der Freundschaft. Weihnachten hatte die erbittertsten Feinde zu Freunden gemacht.
Hier gab es nicht den Wunsch zu töten, sondern nur den Wunsch einiger einfacher Soldaten (und niemand ist so einfach wie ein Soldat), dass am Weihnachtstag unter allen Umständen die Macht des Feuers aufhören sollte. Wir gaben einander Zigaretten und tauschten alle möglichen Dinge. Wir schrieben unsere Namen und Adressen auf die Feldpostkarten und tauschten sie gegen deutsche. Wir schnitten die Knöpfe von unseren Mänteln und bekamen im Austausch dafür das kaiserliche Wappen. Aber das Geschenk aller Geschenke war Christmas Pudding. Die Augen der Deutschen wurden bei seinem Anblick in hungrigem Erstaunen größer und mit dem ersten Bissen waren sie für immer unsere Freunde. Hätten wir eine ausreichende Menge Christmas Pudding gehabt, jeder Deutsche in den Gräben vor uns hätte sich ergeben.
So standen wir für eine Weile beisammen und unterhielten uns, obwohl die ganze Zeit über ein angespanntes Gefühl von Misstrauen vorhanden war, das diesen Weihnachtsfrieden ein bisschen ruinierte. Wir konnten nicht anders als uns daran zu erinnern, dass wir Feinde waren, obwohl wir uns die Hände geschüttelt hatten. Wir wagten uns nicht zu nah an ihre Gräben, um nicht zu viel zu sehen; auch durften die Deutschen nicht hinter den Stacheldraht kommen, der vor uns lag. Nachdem wir geplaudert hatten kehrten wir zu unseren Gräben zurück, um zu frühstücken.
Während des ganzen Tages wurde kein Schuss abgegeben. Alles was wir taten war miteinander zu sprechen und uns Geständnisse zu machen, die in diesem seltsamen Moment vielleicht wahrhaftiger waren als während normaler Kriegszeiten. Wie weit dieser inoffizielle Friede entlang den Stellungen ging weiß ich nicht, aber ich weiß, dass das, was ich hier geschrieben habe für die — auf unsere Seite sowie für die aus Westfalen bestehende deutsche 158. Brigade gilt.
Während ich diese kurze und bruchstückhafte Beschreibung eines seltsam menschlichen Geschehens beende, gießen wir Schnellfeuer in die deutschen Gräben und sie beantworten das Kompliment ebenso heftig. Kreischend über uns in der Luft sind die zerschmetternden Granaten der gegnerischen Artilleriebatterien. So sind wir einmal mehr zurück in der Prüfung des Feuers.” (Original auf christmastruce.co.uk)



Weitere Informationen

Weihnachtsfrieden (Wikipedia)
Papst Benedikts XV. Apostolisches Schreiben vom 28. Juli 1915
Augenzeugenberichte britischer Soldaten über den Weihnachtsfrieden 1914 (auf Englisch)