03. Januar 1915: Verbotene Maßnahmen

Silvester 1914

Neunzehnhundertvierzehn, hast ausgekämpft,
Sie nennen dich laut, mancher gedämpft.
Manchem drückst du die Kehle eng.
Blutiges Jahr, wie warst du so streng!

Kinder, die einst zur Schule gehn,
Werden dich groß im Geschichtsbuche sehn.
Greise, die nachmals die “Vierzehn” nennen,
Werden dich blitzenden Auges noch kennen.

Ward je ein Jahr in die Erde begraben,
Wie du, Jahr voll schwarzer, gemästeter Raben!
Lachte eines so herrlich den Kühnen,
Wie du, dem noch winters die Lorbeeren grünen!

Drückst der “Fünfzehn” den fressenden Brand
Wild zum Willkomm in die Jugendhand.
Salven krachen zum letzten Gruß.
Tod mäht weiter beim Jahresschluß.

Max Dauthendey (1867-1918),
geschrieben am 31. Dezember 1914 auf Sumatra.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
Post Colmberg Bahnst. Lehrberg
Mittelfranken

Ostawerne, 3. Januar 1915
Habe heute deinen Brief erhalten u. auch das von dir abgeschickte Paketchen. Ich mache meinen besten Dank dafür, welches mich auf wirklich freute. Sonst geht es mir noch gut und bin auch gesund, was ich auch von dir und deinen Anhörigen noch hoffe. Die verbotenen Massnamen werde ich mir beibehalten. Leb wohl auf ein baldiges Wiedersehen u. sei bestens gegrüßt sowie deine l. Eltern von deinem unvergesslichen Georg Probst.


Auch diese Postkarte von Anfang 1915 regt die Fantasie der heutigen Leser an: Worum handelte es sich wohl bei den erwähnten verbotenen Maßnahmen? Möglicherweise stehen sie im Zusammenhang mit den mysteriösen Punkten auf der sieben Tage zuvor verfassten Karte.



27. Dezember 1914: Brief und _____ erhalten

„Die Haltung der Truppen im Felde wird auf das stärkste beeinflußt durch die geistige Verbindung mit der Heimat. Es gibt nicht viele Einwirkungen, die so wohltätig über Gefahren und Mühsale hinweghelfen, die so kräftig die gesunkene Spannkraft zu heben vermögen, als ersehnte Nachrichten von daheim. Die erhöhte Stimmung, die der wechselseitige Verkehr mit der Heimat erzeugt, kommt der Schlagkraft des Heeres zugute.“

Oberste Heeresleitung


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
Post Colmberg b. Lehrberg
Mittelfranken

Ostwarne, 27.12.1914
Habe heute Brief u. …… erhalten was mich sehr gefreut hat. Ich mache meinen besten Dank dafür. Ich bin noch gesund u. munter was ich von dir u. d. Angehörigen auch hoffe. Bei uns hat es die Weihnachten über stark gefroren. Sei tausendmal gegrüßt sowie d. Eltern u. Schwester von d. unvergesslichen G. Probst


Besonders zwei Postkarten, die um den Jahreswechsel 1914/1915 herum von Georg Probst an Lina Neefischer geschrieben wurden, regen die Fantasie an. Im vorliegenden Fall bedankt sich der Soldat für einen erhaltenen Brief, zugleich jedoch für etwas, das er nicht ausschreibt, sondern nur mit Punkten andeutet. Vermutlich handelt es sich um einen Teil des Briefinhalts. Es kann nur spekuliert werden worum es sich dabei handelt: Um etwas, das Soldaten eigentlich verboten war? Oder um etwas so persönliches, dass niemand – Kamerad, Postbote oder Familienmitglied – davon wissen sollte?

Bei Ostawerne handelt es sich um den kleinen Ort Oosttaverne südlich von Ypern und unmittelbar westlich von Wijtschate ganz in der Nähe des Frontverlaufs (Ganz herzlicher Dank für diese Erkenntnis an Juliane Weiß!). Obwohl dieser Ort schon 1914 Schauplatz von Kriegshandlungen war, ist die Oosttaverne-Stellung vor allem im Rahmen der Schlacht von Messines im Jahr 1917 von Bedeutung.

imageDer Frontverlauf bei Ypern während des Winters 1914/1915.*



Weitere Informationen

* Grafik aus: Michelin illustrated Guides to the Battlefields (1914-1918): Ypres and the Battles of Ypres (1919). (Englisch)

24. Oktober 1914: Sei tausendmal gegrüßt

5. Oktober 1914: Erster Luftkampf über französischem Boden: Zwei französische Jäger schießen ein deutsches Flugzeug ab, dessen Besatzung von 2 Mann dabei umkommt.

Peter Hans Scheible: Weltkrieg 1914-1918 (Trafford Publishing 2004).


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerst.
Oberfelden
Post Lehrberg
Mittelfranken

[?], 24. Okt. 1914
L. Lina
Die besten Grüße von hier aus sendet aus gesundem Sinn dein unvergässlicher G. P. Viele Grüße an deine Eltern und deine Schwester. Deine schöne Karte habe ich erhalten. Sei tausendmal gegrüßt.


Während die Feldpostkarten der deutschen Soldaten im späteren Verlauf des Krieges speziell für jene hergestellt wurden und mit romantisierenden und nationalistischen Durchhalteparolen versehen waren, versendet Georg Probst 1914 noch Karten aus französischer Produktion. Auf der vorliegenden sind sogar französische Soldaten zu sehen, die zu dem Zeitpunkt eigentlich den Feind darstellten: Reservisten, die von Péronne nach Sissonne im Département Aisne aufbrechen.

Die genaue Verortung dieser Karte ist schwierig, da der Ort nicht leicht zu lesen ist. Lösungsversuche und Hinweise dürfen gerne an nochgehtesmirgut@gmail.com geschickt werden. Vermutlich stammt die Karte jedoch aus der gleichen Gegend wie die vorangegangene, da die Division erst ab dem 23. Oktober weiter nach Norden verlegt wird.


15. Oktober 1914: Denn ich habe große Sehnsucht nach Dir

Großes Hauptquartier, 30. September, 9 Uhr 40 Min. abends. (Amtlich.) Nördlich und südlich Albert vorgehende überlegene feindliche Kräfte sind unter schweren Verlusten für sie zurückgeschlagen worden. Aus der Front der Schlachtlinie ist nichts Neues zu melden.

Extrablatt. Cellesche Zeitung und Anzeigen. Donnerstag, den 1. Oktober 1914.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
Post Colmberg
Mittelfranken
Bayern

Nordfrankreich, 15. Okt. 1914
L.L.
Habe Karten u. Brief erhalten, was mich von Herzen freute. Ich bin noch gesund, was ich auch von dir hoffe. Ein kleines Pa. würde mich sehr freuen. Der Scheibenberger ist durch Leichtsinn von einem anderen durch den Fuß geschoßen worden. Schreibe mir die Ad. von meinem u. deinem Bruder. Mein inniger Wunsch wäre nur ich möcht dich bald wieder sehen, denn ich habe große Sehnsucht nach dir. Seid alle recht herzlich gegrüßt von deinem treuen G. Probst. Schreibe recht oft u. bald.


Nach dem Einsatz in Lothringen wurde die 4. Königlich Bayerische Division am 18. September 1914 von Metz mit der Eisenbahn nach Namur und schließlich am 25. September in die Gegend nördlich von Péronne verlegt. Bei Combles kämpfte sie bis Mitte Oktober als Teil der 2. Armee.

Wahrscheinlich von dort berichtet Georg Probst sichtlich mitgenommen von der Verletzung seines Kameraden Leonhard Scheibenberger aus Kreuth. Auch in den militärischen Unterlagen ist zu lesen, dass dieser auf “fahrlässige Weise” durch einen Revolverschuss am Fuß verwundet wurde. Zunächst im Lazarett in Bapaume untergebracht, wurde er bis 22. November 1914 im Lazarett des Roten Kreuzes in Rothenburg ob der Tauber behandelt.



Weitere Informationen

Wettlauf zum Meer (Wikipedia)

07. September 1914: Gewiß nicht so wie bei uns

Berlin. Nördlich Metz hat der deutsche Kronprinz mit seiner Armee zu beiden Seiten von Longvy vorgehend, den gegenüberstehenden Feind gestern siegreich zurückgeworfen. Die in Lothringen siegreiche Armee unter Führung des Kronprinzen von Bayern hat auf der Verfolgung den geschlagenen Feind in der Linie Luneville-Blamont erreicht und setzt die Verfolgung fort.
Vor Namur donnern seit vorgestern Abend die deutschen Geschütze.

Extrablatt. Cellesche Zeitung und Anzeigen. Sonntag, den 23. August 1914.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
Bayern Mittelfranken
Post Colmberg.

Luinieviele, den 7. Sept. 1914.
L. L.
Schon lange warte ich auf einen Brief oder auf eine Karte aber alles umsonst. Wie geht es denn in der Heimat zu? Gewiß nicht so wie bei uns. Bitte um baldige Anwort. Viele Grüße an alle deine Freundinnen, Eltern und deine Schwester von deinem unvergässlich. Gg Probst.
Besten Gruß erlaubt sich zu senden
Mich. Breitschwerdt
L. Scheibenberger 


Nach dem eher euphorischen Ton der vorangegangenen Postkarten, die während des Aufmarsches an der Westfront verschickt wurden, ist nun nach den ersten Schlachten bereits vage eine veränderte Stimmungslage herauszulesen. Es ist anzunehmen, dass die schockierenden Kriegserlebnisse, denen sich auch Georg Probst nicht verschließen konnte, aus Rücksicht auf die Familien daheim weder in dieser noch in späteren Karten explizit Erwähnung finden.

Bei den beiden erwähnten Personen handelt es sich um Michael Breitschwerdt aus Cadolzhofen und Leonhard Scheibenberger aus Kreuth. Beide gehörten zu Beginn des Krieges wie Georg Probst zur 3. Batterie des 11. Feldartillerie-Regiments. 1914 bestand eine Batterie der Feldartillerie aus 5 Offizieren und 148 Unteroffizieren/Mannschaften mit 139 Pferden, 17 Fahrzeugen und 6 Geschützen, die von einem Hauptmann oder Rittmeister geführt wurden. Georg Probst bekleidete als Fahrer den untersten Dienstgrad der Landstreitkräft und war an der Pistole 08 (“Luger”) und vermutlich der Mauser C96 ausgebildet. Der Eintrag “auf Sattel” in den Militärstammrollen deutet darauf hin, dass er v.a. für das Fahren der Geschütze und der zahlreichen Versorgungswagen eingesetzt wurde. Anders als bei Leonhard Scheibenberger gibt es für ihn keinen Eintrag wonach er an der Feldkanone 96 (7,7 cm), der Standardwaffe der deutschen Feldartillerie, ausgebildet gewesen war.

Als Teil der 4. Königlich Bayerischen Division nahmen sie an den Schlachten in Lothringen und bei Nancy-Épinal teil. Die verlustreiche Schlacht in Lothringen begann am 20. August 1914 mit dem Angriff der 6. Armee unter Kronprinz Rupprecht von Bayern an der Frontlinie Mörchingen-Dieuze-Saarburg. Zusammen mit der 7. Armee wurden dadurch die französischen Streitkräfte der 1ere Armée und 2e Armée bis zum 22. August auf die Festungskette Nancy-Épinal zurück gedrängt. Dem Plan der Obersten Heeresleitung, dort in Richtung Paris durchzubrechen, war jedoch auch bis Mitte September kein Erfolg beschieden. Die meisten Truppenteile wurden anschließend in andere Bereiche der Westfront verlegt.

Im Zusammenhang dieser Geschehnisse muss auch die Karte verstanden werden. Der Ort Luinieviele meint die Stadt Lunéville östlich von Nancy, die vom 22. August bis 12. September 1914 von deutschen Truppen besetzt war.

Der Offizier Rudolf von Xylander notiert in seinem Tagebuch vom 25. August 1914: „Bei den Ersatz Divisionen schon gestern Schweinestall, infolge dessen Lengerke sich gestern Abend erschossen haben soll, der arme Kerl, mit dieser unzureichenden Formation. Heute nun diese Divisionen in schweres Feuer gekommen, das mörderisch war, desgleichen dann das III. Armeekorps, das trotz Verbots in den Feuerbereich der Nancyer schweren Geschütze hineinlief, bloß weil Gebsattel, der bisher noch keine Erfolge gehabt hat, seine Schlacht haben wollte. Auch die ihm unterstellte 5. Reserve-Division bei Lunéville hetzt er in dieses Feuer. […] In Lunéville Mord und Totschlag, Brände. Paniken bei unseren Trains. Wilde Gerüchte. General Quade, der frühere Chef der Ersatz-Abteilung, der jetzt eine Brigade der 8. Ersatz-Division führte und wegen delirium tremens nach Hause geschickt wurde, verbreitet in Château Salins die übelsten Niederlagengerüchte. Es ist unglaublich, wie eine sieghafte Armee in so kurzer Zeit durch einen einzigen Rückschlag in eine solche Verfassung gebracht werden kann. Die Nerven unserer seit vielen Tagen kämpfenden braven Truppen sind eben überreizt.“
Der Historiker Alan Kramer kommentiert: „Die bayerische Armee stand – so viel wird daraus deutlich – unter enormem Leistungsdruck. Ob dieser aus partikularistischer oder gar dynastischer Rivalität herrührte, ist für diese Untersuchung unerheblich. Fest steht aber, daß die bayerischen Kommandeure ohne Absprache mit dem Großen Generalstab und ohne Verantwortungsbewußtsein für ihre Soldaten handelten, indem sie diese ohne Artillerieunterstützung in eine stark verteidigte Festungszone vorschickten. Nicht nur Verluste, Entmutigung und Nervenzusammenbrüche der Truppenführer waren das Ergebnis, sondern auch die Verübung von Verbrechen an der Zivilbevölkerung.“*



Weitere Informationen

Schlacht in Lothringen (Wikipedia)
Lunéville (Wikipedia)
Feldartillerie im Deutschen Kaiserreich (Wikipedia)
Pistole 08 (Wikipedia)
7,7 cm Feldkanone 96 n.A. (Wikipedia)

* Beide Zitate: Alan Kramer: “Greueltaten”. Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich 1914. In: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina (Hgg.): ‘Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch…’. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte; N.F. 1), Essen: Klartext Verlag 1993. [pdf]