20. November 1914: Welch ein Schlachten

We are the dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved, and were loved, and now we lie
In Flanders fields.

Aus In Flanders Fields von John McCrae


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
P. Colmberg b. Lehrberg
Mittelfranken

Yperes, 20.11.1914
L. Lina!
Teile dir mit, daß ich noch gesund bin, was ich auch von dir und deinen Angehörigen hoffe. Wir stehen hier schon seit 24. Okt. im Gefecht, und welch ein Schlachten!
Sei bestens gegrüßt von deinem unvergesslichen G. P.


Der deutsche Plan, nach dem Fall der belgischen Festung Antwerpen ab Mitte Oktober die französische Hafenstadt Calais einzunehmen, um die Versorgung der britischen Truppen zu erschweren, geriet in Westflandern ins Stocken und führte zur erbittert geführten Ersten Flandernschlacht (20. Oktober bis 18. November). Belgier, Franzosen, Briten und andere konnten den deutschen Vormarsch in der Gegend um Ypern aufhalten, es folgten jedoch lange Gefechte, bei denen Haus um Haus, Dorf umDorf und Hügel um Hügel in der sonst sehr flachen Landschaft gekämpft wurde. Die 4. Armee wurde dabei von der bayerischen 6. Armee unterstützt, u.a. mit dem II. Armee-Korps. Im Laufe der Schlacht wurden die ersten Schützengräben angelegt, die prägend für den Stellungskrieg der nächsten Jahre wurden.

Der auf der Karte genannte Ort Yperes steht mit ziemlicher Sicherheit für Ypern (engl./frz. Ypres), obwohl die Stadt gerade deswegen bekannt ist, weil sie von den Deutschen nicht eingenommen werden konnte. Vermutlich meint Georg Probst daher das Umland der Stadt. Die vorliegende Postkarte ist eine der sehr seltenen Fälle, in denen er den Schrecken des Krieges anspricht. Seine Division war während der Schlacht südlich von Ypern um den Ort Wijtschate herum eingesetzt. Gerade der Höhenzug Wijtschate–Messines war stark umkämpft und wurde mehrmals von beiden Seiten erobert: das „Schlachten“ war hier nicht zu übersehen.

Die Front bei Ypern steht neben Verdun für die Menschen als bloßes Material vernichtende Kriegsmaschinerie an der Westfront, bei der die Soldaten in Scharen ins Gefecht geschickt wurden und auch ebenso zahlreich ums Leben kamen. Allein die Erste Flandernschlacht forderte über 230.000 Opfer auf beiden Seiten. Am 03. Mai 1915 schrieb der kanadische Lieutenant Colonel John McCrae ein Gedicht in Gedenken an seinen am Tag zuvor gefallenen besten Freund. In Flanders Fields wurde zu einem der berühmtesten Beschreibungen des Sterbens an der flandrischen Front und besingt die Blüten des Mohns, die heute noch als Zeichen des Totengedenkens an allen Gedenkstätten und Friedhöfen der Region sowie darüber hinaus zu finden sind.

In Flanders Fields

In Flanders fields the poppies blow
Between the crosses, row on row,
That mark our place; and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.

We are the dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved, and were loved, and now we lie
In Flanders fields.

Take up our quarrel with the foe:
To you from failing hands we throw
The torch; be yours to hold it high.
If ye break faith with us who die
We shall not sleep, though poppies grow
In Flanders fields

Deutsche Übersetzung:

Auf Flanderns Feldern

Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn
Zwischen den Kreuzen, Reihe um Reihe,
Die unseren Platz markieren; und am Himmel
Fliegen die Lerchen noch immer tapfer singend
Unten zwischen den Kanonen kaum gehört.

Wir sind die Toten. Vor wenigen Tagen noch
Lebten wir, fühlten den Morgen und sahen den leuchtenden Sonnenuntergang,
Liebten und wurden geliebt, und nun liegen wir
Auf Flanderns Feldern.

Nehmt auf unseren Streit mit dem Feind:
aus sinkender Hand werfen wir Euch
Die Fackel zu, die Eure sei, sie hoch zu halten.
Brecht Ihr den Bund mit uns, die wir sterben
So werden wir nicht schlafen, obgleich Mohn wächst
Auf Flanderns Feldern.

Das vertonte Gedicht auf YouTube:



Weitere Informationen

Erste Flandernschlacht (Wikipedia)
Michelin illustrated Guides to the Battlefields (1914-1918): Ypres and the Battles of Ypres (1919). (Englisch)
In Flanders Fields (Wikipedia)

07. September 1914: Gewiß nicht so wie bei uns

Berlin. Nördlich Metz hat der deutsche Kronprinz mit seiner Armee zu beiden Seiten von Longvy vorgehend, den gegenüberstehenden Feind gestern siegreich zurückgeworfen. Die in Lothringen siegreiche Armee unter Führung des Kronprinzen von Bayern hat auf der Verfolgung den geschlagenen Feind in der Linie Luneville-Blamont erreicht und setzt die Verfolgung fort.
Vor Namur donnern seit vorgestern Abend die deutschen Geschütze.

Extrablatt. Cellesche Zeitung und Anzeigen. Sonntag, den 23. August 1914.


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Fräulein
Lina Neefischer
Gutsbesitzerstochter
Oberfelden
Bayern Mittelfranken
Post Colmberg.

Luinieviele, den 7. Sept. 1914.
L. L.
Schon lange warte ich auf einen Brief oder auf eine Karte aber alles umsonst. Wie geht es denn in der Heimat zu? Gewiß nicht so wie bei uns. Bitte um baldige Anwort. Viele Grüße an alle deine Freundinnen, Eltern und deine Schwester von deinem unvergässlich. Gg Probst.
Besten Gruß erlaubt sich zu senden
Mich. Breitschwerdt
L. Scheibenberger 


Nach dem eher euphorischen Ton der vorangegangenen Postkarten, die während des Aufmarsches an der Westfront verschickt wurden, ist nun nach den ersten Schlachten bereits vage eine veränderte Stimmungslage herauszulesen. Es ist anzunehmen, dass die schockierenden Kriegserlebnisse, denen sich auch Georg Probst nicht verschließen konnte, aus Rücksicht auf die Familien daheim weder in dieser noch in späteren Karten explizit Erwähnung finden.

Bei den beiden erwähnten Personen handelt es sich um Michael Breitschwerdt aus Cadolzhofen und Leonhard Scheibenberger aus Kreuth. Beide gehörten zu Beginn des Krieges wie Georg Probst zur 3. Batterie des 11. Feldartillerie-Regiments. 1914 bestand eine Batterie der Feldartillerie aus 5 Offizieren und 148 Unteroffizieren/Mannschaften mit 139 Pferden, 17 Fahrzeugen und 6 Geschützen, die von einem Hauptmann oder Rittmeister geführt wurden. Georg Probst bekleidete als Fahrer den untersten Dienstgrad der Landstreitkräft und war an der Pistole 08 (“Luger”) und vermutlich der Mauser C96 ausgebildet. Der Eintrag “auf Sattel” in den Militärstammrollen deutet darauf hin, dass er v.a. für das Fahren der Geschütze und der zahlreichen Versorgungswagen eingesetzt wurde. Anders als bei Leonhard Scheibenberger gibt es für ihn keinen Eintrag wonach er an der Feldkanone 96 (7,7 cm), der Standardwaffe der deutschen Feldartillerie, ausgebildet gewesen war.

Als Teil der 4. Königlich Bayerischen Division nahmen sie an den Schlachten in Lothringen und bei Nancy-Épinal teil. Die verlustreiche Schlacht in Lothringen begann am 20. August 1914 mit dem Angriff der 6. Armee unter Kronprinz Rupprecht von Bayern an der Frontlinie Mörchingen-Dieuze-Saarburg. Zusammen mit der 7. Armee wurden dadurch die französischen Streitkräfte der 1ere Armée und 2e Armée bis zum 22. August auf die Festungskette Nancy-Épinal zurück gedrängt. Dem Plan der Obersten Heeresleitung, dort in Richtung Paris durchzubrechen, war jedoch auch bis Mitte September kein Erfolg beschieden. Die meisten Truppenteile wurden anschließend in andere Bereiche der Westfront verlegt.

Im Zusammenhang dieser Geschehnisse muss auch die Karte verstanden werden. Der Ort Luinieviele meint die Stadt Lunéville östlich von Nancy, die vom 22. August bis 12. September 1914 von deutschen Truppen besetzt war.

Der Offizier Rudolf von Xylander notiert in seinem Tagebuch vom 25. August 1914: „Bei den Ersatz Divisionen schon gestern Schweinestall, infolge dessen Lengerke sich gestern Abend erschossen haben soll, der arme Kerl, mit dieser unzureichenden Formation. Heute nun diese Divisionen in schweres Feuer gekommen, das mörderisch war, desgleichen dann das III. Armeekorps, das trotz Verbots in den Feuerbereich der Nancyer schweren Geschütze hineinlief, bloß weil Gebsattel, der bisher noch keine Erfolge gehabt hat, seine Schlacht haben wollte. Auch die ihm unterstellte 5. Reserve-Division bei Lunéville hetzt er in dieses Feuer. […] In Lunéville Mord und Totschlag, Brände. Paniken bei unseren Trains. Wilde Gerüchte. General Quade, der frühere Chef der Ersatz-Abteilung, der jetzt eine Brigade der 8. Ersatz-Division führte und wegen delirium tremens nach Hause geschickt wurde, verbreitet in Château Salins die übelsten Niederlagengerüchte. Es ist unglaublich, wie eine sieghafte Armee in so kurzer Zeit durch einen einzigen Rückschlag in eine solche Verfassung gebracht werden kann. Die Nerven unserer seit vielen Tagen kämpfenden braven Truppen sind eben überreizt.“
Der Historiker Alan Kramer kommentiert: „Die bayerische Armee stand – so viel wird daraus deutlich – unter enormem Leistungsdruck. Ob dieser aus partikularistischer oder gar dynastischer Rivalität herrührte, ist für diese Untersuchung unerheblich. Fest steht aber, daß die bayerischen Kommandeure ohne Absprache mit dem Großen Generalstab und ohne Verantwortungsbewußtsein für ihre Soldaten handelten, indem sie diese ohne Artillerieunterstützung in eine stark verteidigte Festungszone vorschickten. Nicht nur Verluste, Entmutigung und Nervenzusammenbrüche der Truppenführer waren das Ergebnis, sondern auch die Verübung von Verbrechen an der Zivilbevölkerung.“*



Weitere Informationen

Schlacht in Lothringen (Wikipedia)
Lunéville (Wikipedia)
Feldartillerie im Deutschen Kaiserreich (Wikipedia)
Pistole 08 (Wikipedia)
7,7 cm Feldkanone 96 n.A. (Wikipedia)

* Beide Zitate: Alan Kramer: “Greueltaten”. Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich 1914. In: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina (Hgg.): ‘Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch…’. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte; N.F. 1), Essen: Klartext Verlag 1993. [pdf]