Vor 100 Jahren…
… waren Telefonanschlüsse in Privathaushalten noch eine Seltenheit und noch niemand dachte an Smartphones mit mobilem Internet. Neil Armstrong hatte noch nicht den Mond betreten und auch Charlie Chaplin machte bei den Keystone Studios erst seine ersten Schritte im Filmgeschäft. Niels Bohr hatte gerade sein Atommodel entwickelt, wohingegen es noch Jahre dauern sollte bis Alexander Fleming die keimtötende Wirkung seiner Schimmelpilzgattung Penicillium entdeckt. In Russland herrschten noch die Romanows und Wilhelm II. regierte nicht nur über Deutschland, sondern auch über Kolonien im heutigen Tansania oder Samoa.
Dies alles trat jedoch in den Hintergrund als 1914 mit dem Ersten Weltkrieg die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts über die Welt hereinbrach. Bis 1918 forderte dieser Krieg über 10 Millionen Todesopfer und die im Friedensvertrag von Versailles festgelegte Neuordnung Europas und der Welt war nicht nur mitverantwortlich für den sich nur wenig später anschließenden Zweiten Weltkrieg, sondern beeinflusst bis heute (geo)politische Konflikte. Der Erste Weltkrieg ist jedoch nicht nur eine Geschichte von Schlachten und Grenzverläufen, von Staatsoberhäuptern und Verträgen: er veränderte das alltägliche Leben der Menschen. Nirgends wird dies deutlicher als bei der Vielzahl von Soldaten, die ihre Familien verlassen mussten, um fern ihrer Liebsten diejenigen Schlachten zu schlagen, die sie und/oder ihre Befehlshaber für notwendig hielten.
Georg & Lina
Der Erste Weltkrieg ist auch die Geschichte von Georg und Lina, zweier junger Menschen Mitte Zwanzig aus Mittelfranken in Bayern, die sich verliebten und die der Krieg entzweite. Diese Beziehung ist durch hunderte Feldpostkarten belegt, die Georg während seiner Einsatzzeit an Lina schickte und in denen er ihr versicherte, dass es ihm noch gut gehe.
Maria Magdalena Neefischer, genannt Lina, wurde am 24. November 1890 als Tochter des Gutsbesitzers Georg Neefischer (1845-1928) und seiner Frau Maria Sophia Hauf in Oberfelden in der heutigen Marktgemeinde Colmberg geboren. Auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen, auf dem sie sicher tatkräftig mithelfen musste, waren ihr die eingangs erwähnten Geschehnisse in der weiten Welt und die Zeit der Belle Époque wohl kaum bekannt.
Johann Georg Probst, genannt Georg, wurde am 01. Februar 1889 in Binzwangen geboren, das nur knapp 2 km von Oberfelden entfernt liegt. Seine Eltern waren Eva Barbara Westernacher (1863-1937) und Georg Leonhard Probst (1861-1943), der nach ihrer Hochzeit am 09. November 1885 von seinem Geburtsort Burghausen, wo seine Familie mindestens seit Anfang des 18. Jahrhunderts lebte, nach Binzwangen übersiedelte.
Georg und Lina heirateten nach Ende des Krieges am 09. Mai 1919 in Binzwangen und hatten zwei Kinder, die das Erwachsenenalter erreichten: Georg Leonhard Probst (1921-1981) und Leonhard Georg Probst (1923-2010), dessen Linie unter dem selben Familiennamen bis heute in Binzwangen fortbesteht.
Nachdem weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg ihnen die gemeinsame Zeit auf Dauer nehmen konnte, starb Lina Probst am 02. Dezember 1963 und wurde von ihrem Mann Georg Probst am 28. Februar 1975 gefolgt. Nur wenige Schritte von ihrem gemeinsam bewirtschafteten Hof liegen sie auf dem Friedhof Binzwangen begraben.
Grab von Georg und Lina Probst auf dem Friedhof Binzwangen.
Ziele
Dieser Website liegt das Vorhaben zugrunde, die vorhandene Postkartenkorrespondenz vollständig zu digitalisieren und auf diesem Wege eine Sicherungskopie zu erstellen. Gleichzeitig soll dabei die für heutige Leser nur schwer zu entziffernde Schreibschrift in ein lesbares Format überführt werden. Erst durch diese einfache inhaltliche Zugänglichkeit erhalten die Postkarten ihren ursprünglichen Wert.
Für die Nachfahren von Georg und Lina Probst stellen diese Postkarten ein wertvolles Fenster in die Zeit ihrer Ahnen dar und haben dadurch eine besondere Bedeutung. Doch auch anderen Personen vermitteln sie eine Vorstellung von der Welt von vor 100 Jahren. Vor allem aber sprechen die Texte, wenn auch oft nur zwischen den Zeilen, von den Hoffnungen und Ängsten der vom Krieg betroffenen Bevölkerung. Die Entzweiung zweier verliebter Menschen, deren Wiedersehen jeden Tag erneut in Frage gestellt wurde, stellt auf diesem Weg eine Mahnung dar und legt das Wesen des Kriegs offen.
Zur Ethik
Anders als in weit zurück liegenden Zeiten, deren Protagonisten von keiner lebenden Person mehr persönlich gekannt werden, sind Georg und Lina Probst erst seit wenigen Jahrzehnten tot. Obwohl sie mittlerweile bereits Nachfahren in der 4. Generation besitzen, fühlen sich manche Personen sicher auf einer persönlichen Weise mit ihnen verbunden, die sich von der wissenschaftlich-historischen Distanz merklich unterscheidet. Insofern stellt sich die Frage, ob die Veröffentlichung ihrer privaten Korrespondenz nicht eine Verletzung ihrer postum geltenden Persönlichkeitsrechte ist. Der Autor dieser Website vertritt die Ansicht, dass diese Persönlichkeitsrechte zwar tatsächlich noch gelten, jene aber aufgrund des nun schon 100 Jahren zurück liegenden Entstehungsdatums weniger ins Gewicht fallen als der Wert der Postkarten für die gegenwärtigen Generationen, als familiengeschichtliche und allgemein-historische Quelle sowie als Mahnmal für das Übel des Krieges. Der Autor hofft, dass v.a. letzterer Nutzen als Mahnung im Sinne von Georg und Lina ist und dem Projekt damit Legitimation verleiht.
Dank gilt:
Margit Probst für die Ahnenforschung zur Familie Probst.
Juliane Weiß für die wertvolle Hilfe beim Lesen der handschriftlichen Texte.
Kontakt
Für den Inhalt dieser Website ist ein Urenkel von Georg und Lina Probst verantwortlich, der unter der eMail-Adresse nochgehtesmirgut@gmail.com oder über den twitter-Account @nochgemg erreicht werden kann. Insbesondere Hinweise zur Transkription oder dem militärhistorischen Kontext der Feldpostkarten sind stets willkommen.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.